Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
kindisch klangen und mir wie Verrat vorkamen. Ich warf Genja manches vor, aber nicht das, was sie dem Zaren angetan hatte. Nikolaj schien seine Spione überall zu haben. Ich fragte mich, ob er das wahre Wesen seines Vaters kannte. »Außerdem glaube ich kaum, dass sie Gift benutzt hat.«
»Sie hat ihm irgendetwas angetan. Seine Ärzte sind ratlos und meine Mutter lässt keinen Heiler der Korporalki an ihn heran.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Das war ein kluger Schachzug.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Das Attentat auf deinen Vater?«
»Der Dunkle hätte meinen Vater mit Leichtigkeit beseitigen können, aber er hätte damit einen Aufstand der Bauern und der Ersten Armee riskiert. So ist mein Vater zwar noch am Leben, aber vollkommen isoliert und niemand weiß, was passiert ist. Der Asket war da, hat sich als engster Ratgeber aufgespielt und Befehle erteilt. Wassili war unterwegs, um Pferde und Nutten zu kaufen.« Er verstummte, schaute aus dem Fenster und strich über den vergoldeten Rahmen. »Und ich war auf See. Ich habe erst Wochen später davon erfahren.«
Ich zögerte, wusste nicht, ob ich etwas erwidern sollte. Er betrachtete die vorbeiziehende Landschaft, schien mit den Gedanken aber ganz woanders zu sein.
»Als die Nachricht von dem Massaker in Nowokribirsk und dem Verschwinden des Dunklen die Runde machte, brach die Hölle los. Mehrere Minister des Zaren und die Palastwache verschafften sich Zugang zum Großen Palast und verlangten den Zaren zu sehen. Und welches Bild bot sich ihnen? Meine Mutter saß in ihrem Salon und umklammerte ihren kleinen, hechelnden Köter. Und der Zar von Rawka, Alexander der Dritte, lag allein und in seinen eigenen Exkrementen in seinem Schlafzimmer und atmete kaum noch. Und das habe ich zugelassen.«
»Du konntest doch nicht ahnen, was der Dunkle im Schilde führte, Nikolaj. Niemand konnte das.«
Er schien mich nicht zu hören. »Die Grischa und Opritschki, die den Palast auf Befehl des Dunklen besetzt hatten, versuchten zu fliehen und wurden in der Unterstadt gefasst. Man hat sie hingerichtet.«
Mich schauderte. »Und der Asket?« Der Priester hatte gemeinsame Sache mit dem Dunklen gemacht und war vielleicht immer noch mit diesem verbündet. Andererseits hatte er vor dem Putsch mit mir sprechen wollen und ich war davon ausgegangen, dass er einen viel abgründigeren Plan verfolgte.
»Entkommen. Niemand weiß, wohin.« Nikolaj klang harsch. »Aber irgendwann wird er sich verantworten müssen.«
Ich bemerkte wieder die Härte, die sich unter der glatten Oberfläche verbarg. War das der wahre Nikolaj Lantsow? Oder erlebte ich hier nur eine weitere Verkleidung?
»Du hast Genja gehen lassen«, sagte ich.
»Sie war ein Pfand. Du warst der Preis. Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren.« Dann grinste er und seine düstere Stimmung verflog, als hätte es sie nie gegeben. »Und außerdem«, sagte er augenzwinkernd, »ist sie viel zu hübsch für die Haie.«
Die Fahrt in der Kutsche löste Unruhe in mir aus. Das Schneckentempo, das Nikolaj vorlegte, belastete mich und ich brannte darauf, den Kleinen Palast zu erreichen. Trotzdem gestattete ich ihm, mich auf unsere Ankunft in Os Alta vorzubereiten. Nikolaj traute mir offenbar zu, die Zweite Armee erfolgreich zu führen, und gab mir wiederholt weise Ratschläge. Nur waren es zu viele und ich fühlte mich wie damals in der Bibliothek des Kleinen Palastes, als ich meinen Kopf mit Grischa-Wissen vollgestopft hatte. Aber ich durfte seinen Rat wohl nicht in den Wind schlagen.
Je weniger du sagst, desto schwerer wiegen deine Worte.
Nicht diskutieren. Lass dich auf keinen Fall dazu hinreißen, etwas abzustreiten. Schmettere Beleidigungen mit einem Lachen ab.
»Du hast nicht über den Kapitän der Fjerdan gelacht«, bemerkte ich.
»Er hatte mich nicht beleidigt. Sondern herausgefordert«, sagte er. »Du solltest den Unterschied kennen.«
Schwäche ist eine Verkleidung. Trage sie, wenn man wissen soll, dass du menschlich bist, aber nie aus einer Stimmung heraus.
Verzichte auf Ziegel, wenn du mit Steinen bauen kannst. Arbeite mit allem, was dir zur Verfügung steht.
Eine Führungsrolle zu bekleiden bedeutet, dass dich immer jemand beobachtet.
Wenn du sie dazu bringst, unwichtige Befehle zu befolgen, dann befolgen sie die wichtigen von ganz allein.
Man darf Erwartungen dämpfen, aber niemals enttäuschen.
»Und wie soll ich all das behalten?«, fragte ich verzweifelt.
»Denk nicht zu viel darüber nach,
Weitere Kostenlose Bücher