Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
am besten war. Denn er bekam immer schlechte Laune, wenn er in diesem lackierten Schmuckkästchen saß.
Nikolaj setzte sich nur zu mir, wenn wir in eine Ortschaft fuhren oder sie wieder verließen, damit man uns gemeinsam ankommen und abreisen sah. Er sprudelte über von Plänen – der Bau eines Gerätes zum Straßenpflastern, die Anlage neuer Bewässerungsgräben, ein Boot, das sich selbst ruderte. Er machte Skizzen auf jedem Zettel, der ihm in die Hände fiel, und schien täglich Ideen zur weiteren Verbesserung der Kolibri zu haben.
Außerdem sprach er ständig über den dritten Kräftemehrer und den Dunklen, obwohl mich dies nervös machte. Auch er konnte den Felsbogen auf der Illustration nicht einordnen, und Sankt Ilja gab seine Geheimnisse nicht preis, egal wie lange wir über der Seite mit seinem Bild brüteten. Dies hielt Nikolaj aber nicht davon ab, immer wieder Vermutungen darüber anzustellen, wo man mit der Suche nach dem Feuervogel beginnen könnte, oder mich nach der neuen Macht des Dunklen zu befragen.
»Wir werden bald gemeinsam in den Krieg ziehen«, sagte er. »Und du darfst nicht vergessen, dass der Dunkle wenig für mich übrighat. Deshalb bin ich an jedem Vorteil interessiert, den wir nur erlangen können.«
Darauf gab es für mich kaum etwas zu erwidern, denn ich verstand nicht einmal ansatzweise, was der Dunkle tat.
»Grischa können nur etwas verwenden oder ändern, das schon existiert. Um etwas ganz neu zu erschaffen, bedarf es einer anderen Macht. Baghra nannte sie ›die Schöpfung im Herzen der Welt‹.«
»Und du glaubst, der Dunkle ist auf der Suche danach?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Jeder hat seine Grenzen, und wenn man sie überdehnt, ermüdet man. Langfristig werden wir durch den Gebrauch unserer Macht gestärkt. Aber wenn der Dunkle die Nitschewo’ja aufruft, ist es anders. Er scheint einen hohen Preis dafür zu bezahlen.« Ich beschrieb die Anstrengung und die Erschöpfung, die dem Dunklen anzusehen gewesen waren. »Die Macht schenkt ihm keine Kraft. Sie raubt ihm Kraft.«
»Nun, das wäre eine Erklärung«, sagte Nikolaj, der mit den Fingern auf einen Oberschenkel trommelte und dem schon wieder Tausende von Möglichkeiten durch den Kopf zu gehen schienen.
»Eine Erklärung wofür?«
»Dafür, dass wir noch leben und dass mein Vater weiter auf dem Thron sitzt. Wenn der Dunkle ein Heer von Schatten aus dem Ärmel schütteln könnte, stünde er längst vor der Tür. Das ist gut«, sagte er entschieden. »So gewinnen wir Zeit.«
Die Frage war nur, wie viel. Ich dachte an das Verlangen, das mich an Bord der Wolkwolnij beim Anblick der Sterne erfüllt hatte. Die Machtgier hatte den Dunklen verdorben. Vielleicht auch Morozow. Wenn man die Kräftemehrer vereinte, würde das möglicherweise ein nie gekanntes Elend über die Welt bringen.
Ich rieb meine Arme, weil ich plötzlich fror. Diese Zweifel durfte ich gegenüber Nikolaj nicht erwähnen, und Maljen war sowieso skeptisch gegenüber dem Kurs, den wir eingeschlagen hatten.
»Du kennst die Macht unseres Gegners«, sagte ich. »Die Zeit ist da nicht entscheidend.«
»Os Alta ist schwer befestigt. Der Militärstützpunkt in Poliznaja befindet sich ganz in der Nähe, und das Wichtigste: Sowohl die Nordgrenze als auch die Südgrenze sind weit entfernt.«
»Wie könnte uns das helfen?«
»Die Reichweite des Dunklen ist beschränkt. Nachdem wir sein Schiff außer Gefecht gesetzt hatten, konnte er uns nicht mehr von seinen Nitschewo’ja verfolgen lassen. Was bedeutet, dass er gemeinsam mit seinen Ungeheuern in Rawka eindringen muss. Das Gebirge im Osten ist unüberwindbar und die Schattenflur kann er ohne dich nicht durchqueren. Er muss also von Fjerda oder Shu-Han aus angreifen. Wir hätten in jedem Fall genug Zeit, um uns zu rüsten.«
»Und der Zar und die Zarin würden bleiben?«
»Würde mein Vater die Hauptstadt verlassen, dann wäre das gleichbedeutend mit der Übergabe des Landes an den Dunklen. Außerdem habe ich gehört, dass er zu schwach für eine Reise ist.«
Ich dachte an Genjas rote Kefta. »Er ist noch nicht genesen?«
»Man hat die schlimmsten Gerüchte unterdrückt, aber er ist tatsächlich noch nicht geheilt und ich bezweifle, dass er sich jemals vollständig erholen wird.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. »Deine Freundin ist unglaublich. Für eine Giftmörderin, meine ich.«
»Sie ist nicht meine Freundin«, sagte ich, obwohl diese Worte in meinen Ohren
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