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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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Fährtensucher dienen wollen.«
    Maljen betrachtete den Knoten in seinem Zügel. »Ich kann nicht mehr zurück. Nikolaj wird mich hoffentlich davor bewahren, aufgeknüpft zu werden …«
    »Hoffentlich?«, stieß ich hervor.
    »Ich habe Fahnenflucht begangen, Alina. Niemand kann mich wieder zum Fährtensucher machen, nicht einmal der Zar.«
    Maljen klang gelassen und unbesorgt.
    Er gewöhnt sich ein , dachte ich, wusste jedoch, dass sich ein Teil von ihm immer nach jenem Leben zurücksehnen würde, für das er bestimmt gewesen war, jenes Leben, das er ohne mich geführt hätte.
    Er nickte in Richtung von Nikolaj, dessen Rücken in der Reiterkolonne gerade noch zu sehen war. »Außerdem lasse ich dich auf keinen Fall allein mit Prinz Charmebolzen.«
    »Du vertraust also nicht darauf, dass ich seinem Charme widerstehe?«
    »Ich traue nicht einmal mir selbst. Ich kenne niemanden, der die Menge so im Griff hat wie er. Wahrscheinlich werden ihm bald sogar Felsen und Bäume die Treue schwören.«
    Ich lehnte mich lachend zurück und spürte die warme Sonne, die über uns durch das Laub der Bäume fiel. Ich strich über das gut unter meinem Ärmel verborgene Schuppenarmband. Meinen zweiten Kräftemehrer wollte ich zunächst geheim halten. Nikolajs Grischa hatten schwören müssen zu schweigen und ich konnte nur hoffen, dass sie wirklich ihre Zunge hüteten.
    Meine Gedanken schweiften zum Feuervogel ab. Ich konnte immer noch nicht ganz glauben, dass er tatsächlich existierte. Ob er aussah wie auf der Illustration im roten Büchlein, mit weiß-goldenen Flügeln? Oder hatte er Flammen auf den Flügelspitzen? Und welches Ungeheuer würde es wagen, ihn mit einem Pfeil vom Himmel zu holen?
    Ich hatte mich geweigert, das Leben des Hirsches zu nehmen, und das hatte den Tod unzähliger Menschen zur Folge gehabt – der Bürger von Nowokribirsk, der Grischa und Soldaten, die ich auf dem Skiff des Dunklen im Stich gelassen hatte. Ich musste an die hohen Kirchenmauern denken, die mit den Namen der Toten bedeckt waren.
    Morozows Hirsch. Rusalje. Der Feuervogel. Legenden erwachten vor meinen Augen zum Leben, nur um vor meinen Augen zu sterben. Ich erinnerte mich an die bebenden Flanken der Meeresgeißel, das dünne Pfeifen ihrer letzten Atemzüge. Ich hatte gezögert, obwohl sie schon im Sterben gelegen hatte.
    Ich will nicht zur Mörderin werden . Aber vielleicht war der Sonnenkriegerin der Luxus der Gnade versagt. Ich riss mich zusammen. Wir mussten den Feuervogel aufspüren. Und bis dahin blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Hoffnung in einen zweifelhaften Prinzen zu setzen.
    Am nächsten Tag warteten die ersten Pilger am Straßenrand auf die Prozession. Sie unterschieden sich äußerlich nicht von anderen Stadtbewohnern, trugen jedoch Armbinden und Banner mit dem Bild einer aufgehenden Sonne. Sie waren verdreckt von der langen Reise, führten ihre Habseligkeiten in Beuteln und Säcken mit sich, und wenn sie meine blaue Kefta und den Halsreif aus Hirschhorn erblickten, strömten sie auf mein Pferd zu, murmelten Sankta, Sankta und versuchten, Ärmel oder Saum zu ergreifen. Manche fielen auf die Knie und ich musste höllisch aufpassen, dass sie nicht unter die Hufe meines Pferdes gerieten.
    Ich hatte geglaubt, mich an die Aufmerksamkeit gewöhnt zu haben, ja sogar daran, von wildfremden Menschen betatscht zu werden, aber dies hatte eine andere Qualität. Mir gefiel es nicht, »Heilige« genannt zu werden, und ihre Mienen zeigten eine Sehnsucht, die meine Nerven strapazierte.
    Je tiefer wir ins Landesinnere vordrangen, desto größer wurden die Menschenmengen. Sie strömten aus allen Richtungen herbei, aus Städten, Marktflecken und Häfen. Sie drängten sich auf den Dorfplätzen und auf beiden Seiten des Vy, Männer und Frauen, Alte und Junge, manche zu Fuß, andere auf Eseln oder Heuwagen. Sie riefen nach mir, wo auch immer wir waren.
    Manchmal war ich Sankta Alina, manchmal Alina, die Gerechte, die Strahlende oder die Gütige. Tochter von Keramzin, riefen die Menschen, Tochter Rawkas. Nach dem Tal, in dem mein namenloser Geburtsort lag, nannten sie mich Rebe Dwa Stolba , Tochter von Zweimühlen. Ich hatte nur flüchtige Erinnerungen an die Ruinen, die dem Tal seinen Namen gegeben hatten, zwei Steintürmchen am Rand einer staubigen Straße. Der Asket hatte sich größte Mühe gegeben, mein Leben auszuforschen und offenzulegen. Er hatte meine Vergangenheit durchsiebt und seine Funde zur Legende einer Heiligen

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