Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Türen auf, wobei ich insgeheim dankbar war, dass sie nicht verschlossen waren.
Blindlings und ohne ein genaues Ziel ging ich durch den Flur, ich musste dem Kuppelsaal entkommen, bevor jemandem auffiel, dass ich zitterte.
Meine Schritte führten mich glücklicherweise in den Raum des Kriegsrats. Maljen trat nach mir ein, und bevor die Tür zufiel, sah ich, dass Tolja und Tamar Posten bezogen hatten. Fedjor und die anderen waren offenbar noch im Saal. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich mit den restlichen Grischa arrangierten. Vielleicht würden sie sich auch gegenseitig massakrieren.
Ich lief vor der uralten Karte Rawkas auf und ab, die die gesamte hintere Wand einnahm.
Maljen räusperte sich. »Das ist gut gelaufen.«
Mir entwich ein hysterisches, schluckaufartiges Lachen.
»Außer du hattest vor, uns unter der Kuppel zu begraben«, setzte er hinzu. »Dann wäre es nur ein Teilerfolg.«
Ich kaute an meinem Daumennagel herum, schritt weiter auf und ab. »Ich musste sie zur Vernunft bringen.«
»Das Ganze war also Absicht?«
Ich hätte fast jemanden getötet. Ich wollte jemanden töten. Ich hatte die Wahl zwischen Sergej und der Kuppel, und Sergej hätte man nicht so einfach zusammenflicken können.
»Nein, nicht so richtig«, räumte ich ein.
Plötzlich fühlte ich mich vollkommen kraftlos. Ich sank am langen Tisch auf einen der Stühle und bettete meinen Kopf in die Hände. »Sie werden alle abhauen«, stöhnte ich.
»Wäre möglich«, sagte Maljen. »Aber ich habe da meine Zweifel.«
Ich vergrub mein Gesicht in den Armen. »Wer kauft mir das ab? Ich bin dem nicht gewachsen. Was ich hier tue, ist nur ein schlechter Scherz.«
»Ich habe niemanden lachen hören«, sagte Maljen. »Und für jemanden, der angeblich planlos handelt, hast du die Sache gut gedeichselt.«
Ich sah zu ihm auf. Er lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen am Tisch und der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen.
»Ich habe die Kuppel gespalten , Maljen.«
»Ein hochdramatischer Spalt.«
Ich lachte halb, und halb schluchzte ich. »Was tun wir jetzt, wenn es regnet?«
»Das Übliche«, sagte er. »Wir versuchen nicht nass zu werden.«
Da wurde an der Tür geklopft und Tamar steckte den Kopf herein. »Ein Diener möchte wissen, ob du die Gemächer des Dunklen beziehen willst.«
Mir blieb wohl kaum etwas anderes übrig. Nicht, dass mich diese Aussicht gefreut hätte. Ich rieb mir über das Gesicht und erhob mich schwerfällig vom Stuhl. Eine knappe Stunde im Kleinen Palast und ich war fix und fertig. »Kommt, wir schauen sie uns an.«
Hinter dem Raum des Kriegsrats erstreckte sich ein Flur zu den Gemächern des Dunklen. Eine pechschwarz gewandete Dienerin führte uns in ein geräumiges, eher formelles Gemeinschaftszimmer, das mit einem langen Tisch sowie einigen unbequem aussehenden Stühlen möbliert war. Auf allen Seiten gab es eine Doppeltür.
»Diese Türen führen zu einem Gang aus dem Kleinen Palast, moj Soverenij «, erklärte die Dienerin und zeigte nach rechts. Dann zeigte sie nach links und sagte: »Und jene führen zum Quartier der Wachen.«
Die uns gegenüberliegenden Ebenholztüren erklärten sich von selbst. Sie reichten bis zur Zimmerdecke und waren mit dem Symbol des Dunklen verziert, der verfinsterten Sonne.
Da mir noch der Mut fehlte, sie zu durchschreiten, warf ich zuerst einen Blick in das Quartier der Wachen. Ihr Gemeinschaftszimmer war viel gemütlicher. Es gab einen runden Tisch zum Kartenspielen und vor einem kleinen Kachelofen waren gut gepolsterte Sessel gruppiert. Ich erhaschte durch eine weitere Tür einen Blick auf ein Spalier von Etagenbetten.
»Der Dunkle hatte bestimmt eine größere Leibgarde«, sagte Tamar.
»Eine viel größere«, erwiderte ich.
»Wir könnten ein paar Leute dazuholen.«
»Das habe ich auch erwogen«, sagte Maljen. »Aber ich weiß nicht, ob es wirklich nötig ist, und außerdem stellt sich die Frage, wem wir vertrauen können.«
Ich musste ihm zustimmen. Tolja und Tamar vertraute ich bis zu einem bestimmten Grad, aber Maljen war der Einzige, in dessen Gegenwart ich mich sicher fühlte.
»Wir könnten Pilger rekrutieren«, schlug Tamar vor. »Einige von ihnen waren früher beim Militär. Es dürfte gute Kämpfer unter ihnen geben und sie würden zweifellos ihr Leben für dich opfern.«
»Auf keinen Fall«, erwiderte ich. »Sobald der Zar jemanden ›Sankta Alina‹ flüstern hört, legt er mir eine Schlinge um den Hals. Außerdem hätte ich ein ungutes
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