Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
Vom Netzwerk:
Gefühl, wenn ich mein Leben in die Hände von Personen legen würde, die glauben, ich kann von den Toten auferstehen.«
    »Wir schaffen es auch so«, sagte Maljen.
    Ich nickte. »Gut. Und … kann jemand dafür sorgen, dass die Kuppel repariert wird?«
    Tolja und Tamar grinsten beide gleichzeitig übers ganze Gesicht. »Können wir es nicht ein paar Tage so lassen?«
    »Nein«, sagte ich und musste ebenfalls lachen. »Nicht, dass die Kuppel einbricht. Sprecht mit den Fabrikatoren. Sie wissen sicher, was zu tun ist.« Ich strich mit dem Daumen über die Wulst, die sich der Länge nach über meine Handfläche zog. »Es darf aber nicht zu makellos werden«, fügte ich hinzu. Narben hielten die Erinnerung wach.
    Ich kehrte in das Gemeinschaftszimmer zurück und wandte mich an die auf der Türschwelle verharrende Dienerin. »Wir essen heute Abend hier«, sagte ich. »Haben Sie Tabletts?«
    Die Dienerin zog die Augenbrauen hoch, verneigte sich und eilte davon. Ich wand mich innerlich. Warum fragte ich? Ich musste Befehle erteilen.
    Während Maljen und die Zwillinge die Wacheinteilung besprachen, ging ich zu den Ebenholztüren. Die Griffe hatten die Form schmaler Mondsicheln und schienen aus einer Art Knochen zu bestehen. Als ich daran zog, ertönte weder ein Knarren noch quietschten die Angeln. Die Türen öffneten sich lautlos.
    Ein Diener hatte die Lampen im Gemach des Dunklen entzündet. Ich sah mich um, atmete geräuschvoll aus. Was hatte ich erwartet? Einen Kerker? Eine Höhle? Dass der Dunkle sich zum Schlafen auf die Äste eines Baumes bettete?
    Das Gemach war achteckig, die dunklen Wände waren mit Schnitzereien bedeckt, die die Illusion eines dichten Waldes schufen. Die Gewölbedecke über dem Himmelbett bestand aus glattem, schwarzem Obsidian. Intarsien aus Perlmutt zeichneten die Sternenkonstellationen nach. Das Gemach war einerseits ausgefallen und sehr luxuriös, andererseits aber doch nur ein Schlafzimmer.
    In den Regalen stand kein einziges Buch mehr. Tisch und Ankleidekommode waren wie leer gefegt. Man schien seine Habseligkeiten weggeräumt und entweder verbrannt oder zertrümmert zu haben. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass der Zar nicht gleich den ganzen Kleinen Palast hatte niederreißen lassen.
    Ich trat neben das Bett und strich über den kühlen Kopfkissenbezug. Gut zu wissen, dass er doch noch etwas Menschliches hatte und sich wie jeder andere abends zum Schlafen niederlegte. Aber würde ich in seinem Bett und unter seinem Dach tatsächlich Schlaf finden?
    Mir wurde schlagartig bewusst, dass ein Geruch in diesem Raum hing, der nur von ihm stammen konnte. Mir war nie aufgefallen, dass er einen eigenen Duft besaß. Ich schloss die Augen und atmete tief ein. Wonach roch es? Nach klirrend kaltem Winterwind. Kahlen Ästen. Nach Abwesenheit und Nacht.
    Meine Schulterwunde prickelte und ich öffnete die Augen. Die Türen hatten sich geschlossen, ohne dass ich dies bemerkt hätte.
    »Alina.«
    Ich fuhr herum. Der Dunkle stand auf der anderen Seite des Bettes.
    Ich schlug die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken.
    Er ist nicht wirklich , redete ich mir ein. Er ist nur eine Halluzination. Wie auf der Schattenflur.
    »Meine Alina«, sagte er zärtlich. Sein Gesicht war schön und frei von Narben. Makellos.
    Ich schreie nicht, denn dies ist nicht wirklich, und wenn sie mir zu Hilfe eilen würden, würden sie ihn nicht sehen.
    Er ging langsam um das Bett. Seine Schritte waren lautlos.
    Ich presste die Handflächen auf meine geschlossenen Augen, zählte bis drei. Als ich sie öffnete, stand er direkt vor mir. Ich werde nicht schreien.
    Ich wich zurück und stieß gegen die Wand. Ein erstickter Laut entrang sich meiner Kehle.
    Ich werde nicht schreien.
    Er streckte eine Hand nach mir aus. Er kann mich nicht berühren , schärfte ich mir ein. Er ist nur ein Geist. Seine Hand ist wie Nebel. Er ist nicht wirklich.
    »Sinnlos, vor mir davonzurennen«, flüsterte er.
    Er strich über meine Wange. Seine Finger waren fest. Echt. Ich konnte sie spüren .
    Von Entsetzen gepackt, riss ich die Arme hoch und das Licht durchflutete das Gemach als blendend helle, hitzeflimmernde Welle. Der Dunkle verschwand.
    Draußen polterten Schritte. Die Türen wurden aufgerissen. Maljen und die Zwillinge stürmten mit gezückten Waffen herein.
    »Was ist passiert?«, fragte Tamar und ließ einen Blick durch den Raum zucken.
    »Nichts«, sagte ich so normal wie möglich, aber es klang gepresst. Ich verbarg meine

Weitere Kostenlose Bücher