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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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irgendwo Diener bereit und wir schienen nie einen Moment für uns allein zu haben.
    Ich hatte nachts im Bett des Dunklen wach gelegen und daran gedacht, wie Maljen mich im Garten des Landhauses geküsst hatte. Ob ich es überhaupt hören würde, wenn er anklopfte? Ich hatte sogar überlegt, ihn im Quartier der Wachen zu besuchen, wusste aber nicht, wer Dienst hatte, und wenn Tamar oder Tolja geöffnet hätten, wäre mir das sehr peinlich gewesen. Die Müdigkeit nach einem langen Arbeitstag nahm mir die Entscheidung ab, denn als ich die Augen wieder aufschlug, war es heller Morgen.
    Als ich den Springbrunnen mit dem Doppeladler erreichte, war der Weg zu den Toren des Palastes schon voller Leute und Pferde: Wassili und seine adeligen Freunde in ihren prachtvollen Reitkostümen, Offiziere der Ersten Armee in schneidiger Uniform und dahinter eine ganze Legion in Weiß und Gold gekleideter Diener.
    Maljen prüfte in der Nähe einer Gruppe von Fährtensuchern des Zaren seinen Sattel. In seinen groben, bäuerlichen Kleidern war er leicht zu erkennen. Quer über seinem Rücken hing ein glänzender Bogen und ein Köcher, dessen Pfeile im Gold und Hellblau des Zaren gefiedert waren. Bei offiziellen Jagden waren keine Feuerwaffen erlaubt, aber ich sah, dass mehrere Diener für den Fall, dass sich ihre edlen Herren den Tieren nicht gewachsen zeigen sollten, ein Gewehr bei sich trugen.
    »Ist ja eine halbe Armee«, sagte ich, als ich neben Maljen trat. »Braucht man so viele Leute, um ein paar Wildschweine zur Strecke zu bringen?«
    Er schnaubte. »Das ist noch gar nichts. Eine weitere Truppe von Bediensteten ist schon vor dem Morgengrauen losgezogen, um das Lager aufzuschlagen. Mögen die Heiligen verhüten, dass ein Prinz von Rawka nicht sofort eine Tasse heißen Tee bekommt.«
    Ein Jagdhorn erschallte und die Reiter begannen sich mit viel Hufgeklapper und Steigbügelklirren zu formieren. Maljen schüttelte den Kopf und zog kräftig am Sattelgurt. »Ich kann nur hoffen, dass die Wildschweine taub sind«, knurrte er.
    Ich ließ einen Blick über die glitzernden Uniformen und auf Hochglanz polierten Stiefel gleiten. »Vielleicht hätte ich dich in etwas … Glanzvolleres stecken sollen.«
    »Es hat seinen guten Grund, dass Pfauen keine Raubvögel sind«, erwiderte er und lächelte nicht nur unbeschwert und offen, sondern zum ersten Mal seit langer Zeit.
    Er freut sich auf die Jagd , wurde mir bewusst. Er tut zwar genervt, aber er freut sich. Ich versuchte, das nicht persönlich zu nehmen.
    »Und du gleichst einem großen Habicht?«, fragte ich.
    »Sehr richtig.«
    »Oder einer überdimensionierten Taube?«
    »Bleiben wir lieber beim Habicht.«
    Die anderen Fährtensucher saßen auf und ritten los, um sich der Jagdgesellschaft anzuschließen, die auf dem Kiesweg davontrabte.
    »Auf geht’s, Oretsew«, rief ein blonder Fährtensucher.
    Ich fühlte mich plötzlich unbehaglich, war mir der Menschen, die uns umringten und eindringlich betrachteten, überdeutlich bewusst. Es verstieß bestimmt gegen irgendeine Klausel im Protokoll, dass ich gekommen war, um Abschied zu nehmen.
    »Na dann«, sagte ich und tätschelte die Flanke seines Pferdes, »viel Spaß. Und pass auf, dass du niemanden erschießt.«
    »Zu Befehl. Nein, warte – niemanden erschießen?«
    Ich lächelte leicht gezwungen.
    Wir standen noch kurz da. Das Schweigen zwischen uns wurde immer tiefer. Ich hätte am liebsten meine Arme um seinen Nacken geschlungen, mein Gesicht an seinem Hals vergraben und ihm das Versprechen abgenommen, gut auf sich aufzupassen. Aber ich unterließ es.
    Er verzog die Lippen zu einem betrübten Lächeln und verneigte sich.
    »Moj Soverenij«, sagte er und mein Herz verkrampfte sich.
    Er saß auf und gab seinem Pferd die Sporen, verschwand in dem Meer von Reitern, die auf die goldenen Tore zuströmten.
    Ich kehrte bedrückt zum Kleinen Palast zurück.
    Es war noch früh, wurde aber schon warm. Tamar stand bereit, als ich aus dem Waldtunnel auftauchte.
    »Er wird bald zurück sein«, sagte sie. »Kein Grund, ein Gesicht zu ziehen wie sieben Tage Regenwetter.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich und kam mir etwas dumm vor. Während wir über den Rasen zu den Ställen gingen, zwang ich mir ein Lachen ab. »In Keramzin hatte ich eine Puppe, die aus einem alten Strumpf genäht worden war und mit der ich jedes Mal plauderte, wenn er auf Jagd war. Vielleicht gab mir das ein besseres Gefühl.«
    »Du musst ein sonderbares kleines Mädchen gewesen

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