Grischa: Goldene Flammen
bitter.
Plötzlich begriff ich. »Aber genau das hasst Ihr«, sagte ich.
Er drückte sich seufzend an mich, strich mir das Haar aus dem Nacken. »Ja, vielleicht«, murmelte er und lieà seine Lippen über mein Ohr, meinen Hals, mein Schlüsselbein gleiten.
Ich erbebte so sehr, dass ich den Kopf zurücklehnte, fragte aber: »Warum?«
»Warum?«, wiederholte er, wobei er mit den Lippen über meine Haut und mit den Fingern über die Schnürung an meinem Ausschnitt fuhr. »Soll ich dir sagen, was Iwan mir erzählt hat, bevor wir auf die Bühne gegangen sind, Alina? Heute Abend haben wir erfahren, dass meine Männer Morozows Herde entdeckt haben. Wir haben endlich den Schlüssel zur Schattenflur in der Hand. Eigentlich müsste ich jetzt im Beratungsraum dem Bericht meiner Männer lauschen. Ich müsste unsere Reise in den Norden planen. Stattdessen bin ich hier.«
Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich gab mich ganz dem Verlangen hin, das mich durchströmte, fragte mich, wo er mich als Nächstes küssen würde.
»Ich bin hier. Oder?«, wiederholte er und küsste mich auf den Hals. Ich schüttelte keuchend den Kopf, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er hatte mich gegen die Tür gedrückt, schmiegte sich eng an mich. »Das Problem mit dem Verlangen ist, dass es uns schwächt«, flüsterte er und lieà die Lippen über mein Kinn gleiten. Vor meinem Mund hielt er inne. Und dann â ich konnte es schon fast nicht mehr ertragen â drückte er seine Lippen endlich auf die meinen.
Sein Kuss, noch fester als zuvor, wurde von der schwelenden Wut befeuert, die ich in ihm spürte. Aber das war mir egal. Mir war egal, dass er mich ignoriert oder verwirrt hatte, und Genjas rätselhafte Warnung war mir auch egal. Der Dunkle hatte den Hirsch aufgespürt. Er hatte Recht gehabt, was mich betraf. Er hatte mit allem Recht gehabt.
Seine Hand glitt zu meiner Hüfte hinab. Ich spürte einen Anflug von Panik, als er meine Kefta hob und die Finger auf meinen Oberschenkel legte, aber ich wich nicht zurück, sondern schmiegte mich noch enger an ihn.
Ich weià nicht, was als Nächstes geschehen wäre â aber da ertönten lärmende Stimmen im Flur. Eine Schar lautstarker, schwer betrunkener Leute lief vorbei und irgendjemand knallte dumpf gegen die Tür, so dass der Griff klapperte. Wir erstarrten. Der Dunkle stemmte sich gegen die Tür, damit sie nicht aufging, und die Leute zogen rufend und lachend weiter.
In der darauf folgenden Stille starrten wir einander an. Dann seufzte er und lieà seine Hand sinken. Die Kefta fiel wieder über meine Beine.
»Ich muss los«, murmelte er. »Iwan und die anderen warten auf mich.«
Ich nickte nur, denn ich wagte nichts zu sagen.
Er löste sich von mir. Ich trat beiseite und er öffnete die Tür, um einen Blick in den Flur zu werfen.
»Ich komme nicht mehr zum Fest zurück«, sagte er. »Aber du solltest noch einmal hingehen. Wenigstens kurz.«
Wieder nickte ich. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ein Mann, der genau genommen ein Fremder war, gerade in einem dunklen Zimmer eine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt hatte. Ich sah Ana Kuja vor mir, die mir eine zornige Standpauke über die Dummheiten der Bauernmädchen hielt, und errötete vor Scham.
Der Dunkle glitt zur Tür hinaus, drehte sich aber noch einmal um. »Alina«, sagte er und ich konnte ihm ansehen, dass er mit sich rang. »Darf ich dich heute Nacht besuchen?«
Ich zögerte. Ich wusste, dass es kein Zurück mehr geben würde, wenn ich einwilligte. Meine Haut brannte noch, wo er mich berührt hatte, aber die Erregung flaute ab und ich kam langsam wieder zur Besinnung. Ich war mir nicht sicher, was ich wollte. Ich war auf einmal vollkommen unsicher.
Ich zögerte zu lange. Im Flur näherten sich wieder Stimmen. Er schloss die Tür und verschwand, und ich wich in den finsteren Raum zurück. Fieberhaft suchte ich nach einer Ausrede dafür, dass ich mich in einem leeren Zimmer aufhielt.
Die Stimmen verhallten und ich atmete stockend aus. Ich hatte weder einwilligen noch ablehnen können. Wäre er überhaupt gekommen? Wollte ich das? Mir schwirrte der Kopf. Ich musste mich aufraffen und wieder zum Fest gehen. Der Dunkle durfte einfach verschwinden, aber mir stand dieses Privileg nicht zu.
Ich spähte in den Flur und eilte zum Ballsaal.
Weitere Kostenlose Bücher