Grischa: Goldene Flammen
Unterwegs betrachtete ich mich kurz in einem der vergoldeten Spiegel. Ich sah nicht so schlimm aus wie befürchtet. Meine Wangen waren erhitzt und meine Lippen wirkten etwas gerötet, aber das war nicht zu ändern. Ich strich Haare und Kefta glatt und wollte gerade den Ballsaal betreten, als am hinteren Ende des Flurs eine Tür aufging. Der Asket lief in seinem braunen, wehenden Gewand auf mich zu. Oh nein, bitte nicht jetzt.
»Alina!«, rief er.
»Ich muss wieder zum Ball«, sagte ich fröhlich und kehrte ihm den Rücken zu.
»Ich muss mit dir reden! Alles geht viel rascher voran als â¦Â«
Ich versuchte, heiter zu wirken, und tauchte im Gewimmel des Festes unter. Nach wenigen Schritten war ich von Edelleuten umringt, die mich kennenlernen und zu meiner Vorführung beglückwünschen wollten. Sergej eilte mit den anderen Entherzern herbei und entschuldigte sich leise dafür, mich in der Menge aus den Augen verloren zu haben. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich zu meiner Erleichterung, dass der Asket von einer Flut von Gästen verschluckt wurde.
Ich bemühte mich, höfliche Konversation zu betreiben und alle Fragen zu beantworten. Eine Frau bat mich mit Tränen in den Augen um meinen Segen. Da ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte, tätschelte ich begütigend ihre Hand. Im Grunde wollte ich nur eines â in Ruhe nachdenken, um das Gefühlschaos in mir zu ordnen. Wie sich herausstellte, war der Champagner in dieser Hinsicht nicht sehr hilfreich.
Ich wurde von immer neuen Gästen belagert und irgendwann erblickte ich unter ihnen das melancholische, lange Gesicht des Korporalniks, der mit Iwan und mir in der Kutsche des Dunklen gesessen und uns im Kampf gegen die Attentäter der Fjerdan beigestanden hatte. Ich zerbrach mir den Kopf über seinen Namen.
Er erlöste mich, indem er mit einer tiefen Verbeugung sagte: »Fedjor Kaminski.«
»Bitte verzeih«, erwiderte ich. »Der Abend war sehr lang.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.«
Hoffentlich nicht, dachte ich beschämt.
»Der Dunkle hat wohl doch Recht gehabt«, sagte er lächelnd.
»Bitte?«, quetschte ich hervor.
»Du warst damals felsenfest davon überzeugt, keine Grischa zu sein.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Ich bemühe mich sehr darum, mich immer zu irren.«
Fedjor konnte mir gerade noch von seinem neuen Auftrag an der Südgrenze erzählen, dann wurde er von anderen Gästen, die unbedingt die Sonnenkriegerin kennenlernen wollten, zur Seite gedrängt. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mich bei ihm dafür zu bedanken, dass er damals mein Leben verteidigt hatte.
Ich riss mich zusammen und lächelte und redete noch eine ganze Stunde, teilte meinen Leibwächtern aber bei der ersten Gelegenheit mit, dass ich gehen wolle, und schlängelte mich, gefolgt von ihnen, zur Tür durch.
DrauÃen fühlte ich mich gleich besser. Die Nachtluft war herrlich kalt, die Sterne standen hell am Himmel. Ich holte tief Luft, denn ich fühlte mich ausgelaugt und benommen und meine Gedanken wurden abwechselnd von Aufregung und Angst bestimmt. Welche Folgen würde es haben, wenn der Dunkle mich heute Nacht in meinem Zimmer besuchte? Bei der Vorstellung, ganz ihm zu gehören, durchfuhr mich ein Ruck. Ich ging nicht davon aus, dass er mich liebte, und was ich für ihn empfand, wusste ich nicht genau. Aber er begehrte mich, und vielleicht war das genug.
Ich versuchte mir einen Reim auf alles zu machen. Die Männer des Dunklen hatten den Hirsch aufgespürt. Ich hätte über mein Schicksal nachdenken müssen; über die Tatsache, dass ich ein uraltes Geschöpf töten sollte; über die Macht, die es mir verleihen würde; über die Verantwortung. Stattdessen dachte ich nur an seine Hände auf meinen Hüften, seine Lippen auf meinem Hals, seine schmale, sehnige Gestalt, die sich im finsteren Zimmer an mich gedrückt hatte. Ich atmete noch einmal tief die Nachtluft ein. Am vernünftigsten wäre es, wenn ich meine Tür verriegeln und zu Bett gehen würde. Aber wollte ich wirklich vernünftig sein?
Nachdem sie mich zum Kleinen Palast geleitet hatten, kehrten Sergej und seine Begleiter zum Ball zurück. Im Kuppelsaal herrschte Stille, der Lampenschein war matt und golden, die Feuer in den Kachelöfen waren mit Asche belegt worden. Ich wollte auf dem Weg zum Treppenhaus gerade
Weitere Kostenlose Bücher