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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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würde ich mich verraten, und wenn ich sitzen blieb, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie mich fanden.
    Mein Herz pochte immer heftiger, je näher die Geräusche kamen, und dann erblickte ich zwischen den Blättern einen stämmigen, bärtigen Soldaten. Er hielt ein Gewehr, aber sie hatten sicher Anweisung, mich nicht zu töten, denn ich war viel zu wertvoll für den Dunklen. Wenn ich den Tod in Kauf nehmen würde, wäre ich im Vorteil.
    Sie werden mich nicht fassen. Das dachte ich plötzlich und mit großer Gewissheit. Ich werde nicht zurückkehren.
    Ich schüttelte einen Spiegel mit einer kurzen Bewegung des Handgelenks zwischen die Finger meiner linken Hand. Mit der anderen zog ich mein Messer. Der Grischa-Stahl lag schwer in meiner Hand. Dann ging ich leise in die Hocke, um sprungbereit zu sein, und spitzte die Ohren. Ich hatte Angst, aber zu meinem Erstaunen merkte ich, dass ein Teil von mir den Kampf herbeisehnte.
    Der bärtige Soldat kämpfte sich durch das Unterholz, bis er nur noch wenige Schritte von mir entfernt war. Ich konnte den Schweiß auf seinem Hals sehen, das Aufblitzen des Gewehrlaufs in der Morgensonne, und bildete mir ein, dass er direkt in meine Richtung sah. Tief im Wald ertönte ein Ruf. Der Soldat erwiderte: »Nitschjewo!« Nichts.
    Dann machte er zu meinem Erstaunen kehrt und ging davon.
    Ich horchte auf die immer leiser werdenden Stimmen und die sich entfernenden Schritte und konnte mein Glück kaum fassen. Hatten sie meine Spuren mit denen eines Tieres, eines Wilderers oder Wanderers verwechselt? Oder war das nur eine Finte? Ich zitterte am ganzen Körper, während ich wartete. Schließlich hörte ich nur noch die vertrauten Geräusche des Waldes, Vogelrufe, das Zirpen von Insekten, den im Laub raschelnden Wind.
    Ich ließ den Spiegel wieder in den Handschuh gleiten und holte tief Luft. Ich schob das Messer in die Scheide, richtete mich langsam auf und wollte gerade meinen feuchten Mantel vom Boden aufheben, als ich hinter mir leise Schritte hörte.
    Ich wirbelte herum. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Im nächsten Moment sah ich eine Gestalt, nur wenige Schritte entfernt und halb hinter Zweigen verborgen. Der bärtige Soldat hatte mich abgelenkt. Deshalb war mir die Person in meinem Rücken entgangen. Sofort hatte ich wieder das Messer in der Hand und den Spiegel zwischen den Fingern. Die Gestalt trat leise hinter den Bäumen hervor. Ich traute meinen Augen nicht.
    Maljen.
    Ich wollte etwas sagen, doch er legte warnend einen Finger auf seine Lippen, wobei er mir unverwandt in die Augen sah. Er horchte kurz, dann winkte er mir, ihm zu folgen, und tauchte im Wald unter. Ich packte meinen Mantel und eilte hinterher, versuchte mit ihm Schritt zu halten. Das war nicht leicht. Er bewegte sich lautlos, glitt wie ein Schatten zwischen den Bäumen durch, als könnte er Pfade erkennen, die anderen verborgen blieben.
    Er führte mich zurück zum Fluss, den wir kurz darauf an einer flachen Biegung durchquerten. Ich zuckte zusammen, als das eiskalte Wasser wieder in meine Stiefel strömte. Am anderen Ufer lief Maljen im Kreis, um unsere Spuren zu verwischen.
    Ich hätte ihn am liebsten mit Fragen bestürmt. Mein Kopf schwirrte von Gedanken. Wie hatte er mich gefunden? Hatte er mich gemeinsam mit den anderen Soldaten verfolgt? Was hatte seine Hilfe zu bedeuten? Ich hätte ihn gern berührt, um sicherzugehen, dass er kein Geist war. Ich hätte ihn gern dankbar an mich gedrückt. Ich hätte ihm am liebsten ein blaues Auge für das verpasst, was er im Kleinen Palast zu mir gesagt hatte.
    Wir liefen stundenlang, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Hin und wieder signalisierte er mir anzuhalten. Dann wartete ich, während er im Unterholz verschwand, um unsere Spuren zu verwischen. Nachmittags erklommen wir schließlich einen felsigen Pfad. Ich wusste nicht genau, wo der Fluss mich an Land gespült hatte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Maljen mich in den Petrazoj führte.
    Jeder Schritt war eine Qual. Meine Stiefel waren immer noch nass und ich lief mir Blasen an Zehen und Hacken. Nach der schrecklichen Nacht im Wald hatte ich Kopfschmerzen und mir war schwindelig vor Hunger. Trotzdem beklagte ich mich nicht, während er mich in die Berge führte. Irgendwann bog er vom Pfad ab und wir kletterten über die Felsen, bis meine Beine vor Müdigkeit zitterten und meine Kehle vor Durst brannte.

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