Grischa: Goldene Flammen
von Rjewost ungewohnt. Ich hielt den Kopf gesenkt und zog meine Mütze tief ins Gesicht, denn vermutlich hingen Steckbriefe mit meinem Konterfei an allen Laternenpfählen und in allen Schaufenstern. Doch je länger ich in der Stadt war, desto ruhiger wurde ich. Vielleicht hatte sich die Nachricht von meinem Verschwinden nicht so schnell verbreitet, wie ich befürchtete.
Die Düfte nach gebratenem Lamm und frischem Brot machten mir den Mund wässerig, und als ich einen neuen Vorrat von Hartkäse und Trockenfleisch kaufte, spendierte ich mir einen Apfel. Dann band ich meine neue Schlafmatte auf den Rucksack. Er war schwer und ich fragte mich, wie ich dieses zusätzliche Gewicht über die Berge schleppen sollte.
Als ich kurz darauf um eine Ecke bog, wäre ich beinahe mit einem Soldatentrupp zusammengestoÃen.
Beim Anblick ihrer langen olivgrünen Mäntel und der geschulterten Gewehre hämmerte mein Herz wie verrückt. Ich hätte am liebsten das Weite gesucht, senkte aber nur den Kopf und zwang mich, langsam einen Fuà vor den anderen zu setzen. Nachdem sie an mir vorbeimarschiert waren, warf ich einen Blick über die Schulter. Sie sahen mir nicht misstrauisch nach. Ja, sie wirkten sogar unbekümmert, schwatzten und scherzten und einer pfiff anzüglich nach einem Mädchen, das Wäsche aufhängte.
Ich betrat eine SeitenstraÃe und wartete ab, bis mein Puls sich beruhigt hatte. Was sollte ich tun? Meine Flucht aus dem Kleinen Palast war eine Woche her. Bestimmt war sie inzwischen bemerkt worden. Ich war davon ausgegangen, dass der Dunkle berittene Boten zu jedem Regiment in jeder Stadt geschickt hatte und dass alle Angehörigen der Ersten und der Zweiten Armee nach mir suchten.
Auf dem Weg zum Stadtrand sah ich weitere Soldaten. Manche hatten frei, andere taten Dienst, aber niemand schien mich zu suchen. Was sollte ich davon halten? Ob ich dies Baghra zu verdanken hatte? Vielleicht hatte sie dem Dunklen einreden können, dass ich entführt oder von den Fjerdan getötet worden war. Oder nahm er an, dass ich mich schon viel weiter im Westen befand? Ich beschloss, mein Glück nicht zu sehr zu versuchen und so rasch wie möglich aus der Stadt zu verschwinden.
Das dauerte länger als erwartet. Ich erreichte die westlichen Ausläufer der Stadt erst weit nach Einbruch der Dunkelheit. Abgesehen von den Besuchern einiger zwielichtiger Spelunken und einem alten Säufer, der leise singend an einer Hauswand lehnte, war die StraÃe dunkel und leer. Als ich an einer lauten Schenke vorbeikam, flog die Tür auf. Lärm und Licht brandeten auf die StraÃe und ein massiger Mann taumelte heraus.
Er packte meinen Mantel und zog mich dicht an sich. »Na, SüÃe? Bist du gekommen, um mich zu wärmen?«
Ich versuchte mich loszureiÃen.
»Für einen Hänfling bist du ganz schön kräftig.« Sein heiÃer Atem stank nach schalem Bier.
»Lass mich los«, sagte ich leise.
»Stell dich nicht so an, Lapuschka«, säuselte er. »Wir könnten viel Spaà miteinander haben, wir zwei.«
»Loslassen, habe ich gesagt!« Ich stieà ihn gegen die Brust.
»Noch nicht«, kicherte er und zerrte mich in eine dunkle Gasse neben der Schenke. »Erst will ich dir etwas zeigen.«
Ich schüttelte mein Handgelenk und spürte, wie der Spiegel schwer und beruhigend in meine Finger glitt. Dann riss ich die Hand hoch und ein kurzer Lichtblitz flammte direkt in seine Augen.
Er ächzte, hob geblendet die Hände und lieà los. Ich handelte, wie Botkin mich gelehrt hatte, trat ihn kräftig auf den Spann und hakte meinen Fuà hinter seiner Ferse ein. Dann riss ich ihn um und er knallte dumpf auf den Boden.
Da wurde die Seitentür der Schenke aufgestoÃen und es erschien ein Soldat, eine Flasche Kwass in der Hand und einen Arm um eine spärlich bekleidete Frau gelegt. Ich erschrak, als ich sah, dass er die dunkelgraue Uniform der Leibgarde des Dunklen trug. Er betrachtete mit glasigen Augen die Szene, die sich ihm bot: Der Mann lag auf dem Boden und ich stand über ihm.
»Was ist hier los?«, lallte er. Das Mädchen in seinem Arm kicherte.
»Ich sehe nichts mehr!«, kreischte der am Boden liegende Mann. »Sie hat mich geblendet!«
Der Opritschnik sah erst ihn an, dann mich. Als sich unsere Blicke trafen, breitete sich Verblüffung auf seinem Gesicht aus. Er hatte mich erkannt. Meine
Weitere Kostenlose Bücher