Grisham, John
arbeitete, dämpfte ihre
Vorfreude auf das gute Essen. Außerdem bestimmte der Anruf die Unterhaltung.
Während der Wein floss, erzählten sie sich die schlimmsten Geschichten über die
Ausnutzung von jungen Anwälten. Die beste von allen kannte Tabor der Streber,
der ab einem gewissen Alkoholpegel gar nicht mehr so schlimm war. Er
berichtete, dass er bei einem Bewerbungstermin im Vorjahr bei einem Freund
vorbeigeschaut habe, den er vom College kenne. Der Freund habe damals im
zweiten Jahr bei einer der großen Kanzleien gearbeitet und sei mit seiner
Stelle und seinem winzigen Büro sehr unglücklich gewesen. Während ihrer
Unterhaltung habe er versucht, unauffällig einen Schlafsack unter den
Schreibtisch zu schieben. Wissbegierig wie immer, habe Tabor gefragt: "Wozu
ist der denn?" Aber kaum habe er die Frage gestellt, sei ihm die Antwort
auch schon klar gewesen. Sein Freund habe verlegen erwidert, dass er nachts ab
und zu ein paar Stunden Schlaf suche, wenn er nicht mehr könne. Tabor ließ
nicht nach und entlockte ihm schließlich die Wahrheit: Die Kanzlei sei ein
lausiger Arbeitsplatz. Die meisten Anfänger seien auf derselben Etage
untergebracht, und die werde im Firmenjargon "Zeltlager" genannt.
Am
neunzigsten Tag von Baxters Entzug in der Washoe-Klinik betrat Walter Tate das
kleine Besprechungszimmer und schüttelte seinem Neffen die Hand. Dann begrüßte
er Dr. Boone, Baxters leitenden Therapeuten. Walter hatte mit Boone mehrere
Male am Telefon gesprochen, aber begegnet waren sie sich noch nie.
Baxter
war braungebrannt, topfit und relativ guter Dinge.
Er
hatte die längste alkohol- und drogenfreie Phase seit mindestens zehn Jahren
hinter sich. Unter der Anleitung von Onkel Wally hatte er widerstrebend eine
Einverständniserklärung unterschrieben, die der Klinik erlaubte, ihn für sechs
Monate dazubehalten. Aber jetzt wollte er nach Hause. Onkel Wally war nicht
sicher, ob das eine gute Idee war.
Das Treffen gehörte ganz Dr. Boone, der wortreich und detailliert Baxters
Fortschritte erläuterte. Nachdem er trocken gewesen sei, habe Baxter die ersten
Phasen der Therapie gut angenommen. An Tag dreiundzwanzig habe er zugegeben,
dass er Alkoholiker und Drogenabhängiger sei. Allerdings wolle er nach wie vor
nicht eingestehen, dass er von seiner Lieblingsdroge Kokain körperlich abhängig
sei. Er sei zu allen Zeiten kooperativ und sogar hilfsbereit gegenüber den
anderen Patienten gewesen. Er trainiere täglich hart und achte mit fanatischer
Strenge auf seine Diät. Kein Kaffee, kein Tee, kein Zucker. Kurzum, Baxter habe
ein mustergültiges Verhalten an den Tag gelegt. Bislang sei sein Entzug ein
voller Erfolg.
"Ist
er denn so weit?", fragte Walter. Dr. Boone blickte Baxter an. "Sind
Sie so weit?"
"Natürlich.
Ich fühle mich großartig. Es macht Spaß, nüchtern zu sein."
"Das
habe ich alles schon einmal gehört, Baxter", sagte Walter. "Das
letzte Mal warst du wie lange clean, zwei Wochen?"
"Die
meisten Süchtigen brauchen mehr als eine Therapie", erklärte Dr. Boone.
"Das
war etwas anderes", sagte Baxter. "Damals waren es nur dreißig Tage,
und ich wusste von Beginn an, dass ich wieder mit dem Trinken anfangen
würde."
"Du
kannst in Los Angeles nicht clean bleiben", wandte
Walter
ein.
"Ich
kann überall clean bleiben."
"Das
bezweifle ich."
"Du
traust es mir nicht zu?"
"Genau.
Ich traue es dir nicht zu. Du hast eine Menge zu beweisen, Junge."
Beide
machten einen tiefen Atemzug und blickten auf Dr.
Boone.
Es war Zeit für das Urteil, die Strafmaßverkündung, für das abschließende Wort
in dieser unglaublich teuren Einrichtung. "Ich möchte Ihre ehrliche
Meinung hören", sagte Walter.
Dr. Boone nickte. Ohne Baxter auch nur für einen Moment aus den Augen zu
lassen, sagte er: "Sie sind noch nicht so weit. Sie sind nicht so weit,
weil Sie nicht wütend sind, Baxter. Sie müssen den Punkt erreichen, an dem Sie
wütend auf sich selbst sind, auf Ihr altes Leben, auf Ihre Sucht. Sie müssen
Ihr altes Ich hassen, und wenn Sie von diesem Hass und dieser Wut erfüllt sind,
dann sind Sie entschlossen genug, nicht mehr dorthin zurückzukehren. Sie glauben
mir nicht. Das sehe ich in Ihren Augen. Sie werden nach Los Angeles
zurückgehen, zu den alten Freunden, auf Partys, und Sie werden einen Drink
nehmen. Sie werden sich sagen, dass ein Drink in Ordnung ist. Dass Sie das im
Griff haben, ohne Probleme. So war es beim letzten Mal auch. Sie fangen mit
zwei Bieren an, dann sind es drei oder vier,
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