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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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und Inhalt sich decke. Nun, in einem Menzel'schen Bild oder etwa in Laibl's ›Drei alten Weibern‹ decken sich Form und Inhalt wunderbar d.h. sind von gleich origineller Häßlichkeit. Ist also auf diese Weise Schönheit entstanden? Keineswegs. Aber ist darum diese meisterliche Häßlichkeit nicht kunstwerkmäßig ausgeführt? Ja.«
    Nun gehört aber ohnehin in die Rumpelkammer der alten Ästhetik, die von Aristoteles und Lessing bis auf Vischer und Nordau nur dummes Zeug zusammengeschwätzt hat, die thörichte Voraussetzung, die Kunst habe die Schönheit zum weck. Macbeth als Mörder ist ganz gewiß nicht »schön«. Vielmehr wird das Gleichgewicht der Schönheit d.h. der sittlichen Naturharmonie, erst durch die Zoten des betrunkenen Pförtners, also etwas an sich Häßliches, wieder hergestellt. Wenn wir aber die Wahrheit mit den Realisten als Zweck der Kunst bezeichnen, so verlockt uns auch dies in Irrwege. Wahrheit soll sein der einzige Zweck der Wissenschaft, aber soll sein nur ein Mittel der Kunst. Der Fanatismus der Wahrheit führt uns naturgemäß zur Übertreibung und Karrikatur, also zur Unwahrheit, gerade wie etwa Atheismus zum Aberglauben führt. Die spitzfindigen Erzeugnisse von Ibsen sind wahr, aber nicht schön – und darum wirken sie kalt, blutlos, didaktisch, doctrinär. Nicht schön – fehlt da auch noch etwas Anderes: sie wirken zerrissen, fragmentarisch, wie ein höhnisches Fragezeichen. Es fehlt die Abrundung, der vollausgetragene innere Abschluß. Nun, welches Element möchte denn wohl das letztgenannte Kunsterforderniß hinzuleiten? Denken wir an Schillers allgemeingehaltene Phrase vom »Wahren, Guten und Schönen.« Das Gute – das soll bedeuten: den philosophischen Tiefblick in das Getriebe der Welt und des Herzens, der mit unentwegter Sittlichkeit immerdar die versöhnende innere Lösung findet, selbst beim zeitlichen Untergang des Guten. Eine gewisse Erhabenheit der Anschauung gehört unbedingt zu einem wahren Dichterdenker und zu einem Kunstwerk höherer Gattung.
    Das Wahre und Gute in seiner Vereinigung bildet das Schöne, oder vielmehr ist bereits das Schöne. So stellt der grausigste aller Romane, »Raskolnikow«, vollendete Schönheit dar, weil er vollendet Wahres und Gutes in sich birgt. Die meisten Werke von Zola sind nicht schön und nicht kunstvollendet, weil sie mir theilweise wahr und gut sind; »Germinal« und »L'Assomoir« aber nähern sich der idealen Schönheit, weil sie viel Wahres neben einigem Unwahren und manches Gute, von innerer Ergriffenheit und moralischer Erhebung Zeugende, aufweisen.
    Ein anderes Gesetz der Schönheit, als das eben aufgestellte, giebt es nicht. Die sonstige »Form« ist etwas Sekundäres.
    Wie aber den Künstlergeist in eine Seelenverfassung versetzen, welche das Wahre und Gute d.h. das Schöne erfassen und darstellen kann? Meister Haubitz hat uns allerlei von »Begeisterung« vordeklamirt – ist ihm diese Dame vorgestellt? Leicht möglich.
»L'enthousiasme est de tous les sentiments celui-ci qui donne le plus de bonheur«
sagt Frau von Staël.
    Dieses Gefühl, welches »das meiste Glück giebt«, bezeichnet also den Grad höchster Extase. Glaubt nun ein psychologisch geschulter Kopf, daß dieser Zustand bei Schöpfung eines Kunstwerkes anhalten könne? Doch höchstens bei gewissen Hochmomenten.
    Wenn wir nun constatiren, daß durchdringender combinirender Verstand ebensosehr wie reiche Phantasie für echte Dichtung nothwendig erscheinen, wodurch der Begeisterungs-Humbug schon in sich zusammenbricht, so locken wir mit all dem keinen Hund vom Ofen für die Frage: Was ist der geheime Grundkeim des dichterischen Wesens? Nun, meine Herrn, Meister Haubitz hat uns die
fable convenue
wieder aufgewärmt, die schon in Wielands »Abderiten« der Demokritos zum Besten giebt, daß die Schönheitsbegriffe eines Negers andere seien als die unsern. Allein, was kommt denn für uns bei dieser Prämisse heraus, was gewinnen wir mit dieser Beobachtung? Nichts, denn sie gehört gar nicht hierher. Die äußerlichen und sinnlichen Schönheitsbegriffe sind allerdings verschieden; das können wir, ohne fremde Welttheile zu behelligen, unter uns selbst beobachten. Der eine schwärmt für dicke Frauen, dem andern sind diese ein Horreur. »Was dem Einen sin Uhl is, is dem Andern sin Nachtigall.« Aber die Schönheitsbegriffe der Kunst , von denen doch hier allein die Rede ist, die Begriffe der intellectuellen und moralischen Schönheit waren zu allen Zeiten und unter

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