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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Anekdoten von einem »feudalen Weib« zum Besten gab, wie es einem solchen Verehrer der Tugend und Todfeind aller Tyrannen angemessen.
    »Sie übernehmen den Wein, Herr Leonhart? Ich behalte mir Revanche vor!« meldete der Jüngling hochtrabend.
    »Oller Renomierstengel!« brummte jener zwischen den Zähnen.
    Eilt gewaltiger Kumpen mit Hummersalat fuhr vor, welchen Lämmerschreyer bestellt hatte. »Welch ein Gebirge! Der reine Kau-Kasus!« wortwitzelte der Jüngling.
    Leonhart ermunterte ihn ironisch zu kräftigen Einhauen. »So ist's recht, mein Lieber! Den Dicken gehört die Zukunft.«
    »Dank Ihnen.« Der Jüngling brach sich eine weite Gasse in das Gericht und begleitete diese ritterliche Handlung mit dem prickelnden Witzwort: »Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht – weeß Knäbbchen – für alle Zeiten.«
    Hier wurde er aber unliebsam unterbrochen.
    Ein Studiosus der Philosophie, der starr und steif wie ein steinerner Gast dagesessen und den Orakeln gelauscht, dafür aber unbändig viel geistige Getränke genossen hatte, fühlte sich voll dem Kneifer Lämmerschreyers schon wiederholt beleidigend gestreift. Jetzt brach er plötzlich ganz unmotivirt los: »Mein Herr, wünschen Sie was von mir? Sie haben mich fixirt.«
    Lämmerschreyer ließ die Gabel fallen und starrte ihn majestätisch an. Das empörte jenen Musensohn aufs höchste, er sprang auf und rief: »Sie! Sie fixiren mich ja immer noch. Wenn Sie Student sind, geben Sie mir Ihre Karte!«
    »Die bekommen Sie nicht!« schnaubte Jener mit ausgeworfener Nase. Er war jedoch sehr blaß geworden.
    »Was? Erst fixiren und dann nicht Karte geben? Das ist eine erbärmliche Kneiferei!«
    Hier legte sich jedoch Leonhart energisch ins Mittel und nach üblichem Hin- und Hergerede erklärten sich Beide für Ehrenmänner. Während dieser lebhaften Vorlage am andern Ende der Tafel, welche hier und da durch die Klingel des Präsidenten Edelmann beschwichtigt wurden, hielt ein Individuum am entgegengesetzten Ende der Tafel einen unverdauten und unverdaulichen Vortrag über den »Begriff der Schönheit«. Es mummelte und murmelte ununterbrochen so fort, indem es in sein Weinglas stierte, und versicherte unablässig, daß »Schönheit der Einklang von Form und Inhalt« sei. Als dies Murmelthier schwieg, sprang Herr Rafael Haubitz auf und bewies in längerer Rede, die er stotternd hervorsprudelte, daß »die Begeisterung« (»Begeiferung?« fragte Leonhart seinen Nebenmann) das eigentliche Prinzip der Poesie sei, wobei er auch wieder die alte Phrase herleierte, bei Chinesen und Negern sei das Schönheitsideal ein ganz anderes als bei uns.
    Er suchte sodann darzuthun, daß man den Begriff des Schönen in physiologische und associative Eindrücke zerlegen könne. So z.B. wirken, beim Hinaustreten aus einem Zimmer auf eine thauige Wiese im Morgenlicht, zuerst rein physiologisch das Licht, die Frische, das Grün: als angenehmer Sinneseindruck. Später aber trete das associative Gefühl hinzu: Licht und frische Luft sind gesund für jedes Lebewesen, das Grün aber wirkt schön, weil wir damit in der Erinnerung den Begriff einer blühenden Natur associiren. Warum würde ein grüner Mensch auf uns abschreckend wirken? Weil wir einen solchen noch nie gesehen haben (»Oho! Grüner Junge!« murmelte Leonhart) und das Angenehme geselligen Verkehrs in unserer Vorstellung nur mit weißen Menschen associirt sei. Daher auch unsre Abneigung gegen Schwarze, die von diesen erwidert werde.
    Hier bemerkte ein zartes feines Stimmchen, einem mimosenhaften Jüngling angehörig, daß die Natur doch dann nicht schön wirken könne, wenn man sie durch eine rothe Glasscheibe betrachte. Sie wirke aber dabei nur befremdlich, keineswegs unschön. Nachdem dann noch ein furchtbar gelehrtes und bemoostes Haupt von 24 Jahren einen Discurs über die Undulationsschwingungen gehalten und Helmholtz' Theorieen auf den Begriff des Schönen angewandt hatte, trat jetzt ein allgemeines Hin- und Hergerede ein, das der Präsident umsonst zu stoppen suchte. Jeder disputirte auf eigene Faust und verfocht die tiefsinnigsten Theorieen über die Gesetze der poetischen Production. Da erbat sich Leonhart Gehör, und nachdem nothdürftige Stille hergestellt, begann er also:
    »Wir haben soeben manch geistreiches Wort vernommen, sind über Vieles belehrt. Erlauben die Herrschaften nun, daß auch ich zu jeder einzelnen These meinen Genf gebe. Wir haben die uralte Prase gehört, Schönheit entstehe, wenn Form

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