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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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allen Völker die gleichen. Was edel handeln heißt, weiß der Schwarze wie der Weiße, und was schlecht handeln heißt, ebenso. – Auch mit den physiologischen und associativen Eindrücken ist's eine eigene Sache. So erweckt eine rothe Wange uns Lustempfindungen, weil wir diese Röthe als Gesundheit deuten. Andrerseits aber kann eine rothe Wange das Zeichen der Schwindsucht sein. Sie erweckt uns also Peinliche Empfindungen. Gleichwohl wirkt eine rothe Wange unter allen Umständen auf uns als angenehm d.h. schön, weil diese lebhaftere Farbe die Eintönigkeit der Züge belebt. Außerdem wirkt sogar die veritable Schwindsucht selbst, welche bekanntlich die Züge verfeinern und gradezu vergeistigen kann, auf uns häufig als schön – allerdings nur auf den Gebildeten, auf den gröberen Sinnenmenschen nie. Der Begriff des Schönen ist also im letzten Grunde genommen ebenso abstrakt wie der des Guten – also voll physiologischen und associativen Einflüssen unbestimmbar. Aus diesem Grunde würde z.B. auf den Kunstgebildeteten eine lebendig gewordene Venus von Milo physiologisch als vollendet schön wirken, auch wenn sie stumm und dumm wäre. Hingegen würde sie unter diesen Umständen bei einem normalen Menschen niemals Liebe erwecken können, d.h. jene Schönheit besitzen, die alle Sinne gefangen nimmt. Das heißt also: die rein physiologisch als schön wirkende Schönheit – ja, wirkte sie auch wie die Venus associativ, all unsern Kunstanschauungen gemäß – wird nie als vollkommene, als absolute Schönheit wirken.
    Das Psychische spricht unbedingt das entscheidende Wort – so zwar, daß ein unschönes, weder physiologisch noch associativ reizendes Aeußere sich unendlich verschönert durch innere Vorzüge und eine anmuthig seelenvolle Frau auf die Dauer die Schönste besiegt, sobald der Wettkampf um die Liebe des Mannes hervorgerufen wird. Aus diesem Grunde war es ernst gemeint, wenn Alcibiades den Sokrates als »schönsten der Hellenen« bezeichnete Die Griechen faßten eben den Begriff der Schönheit in ihrem eigentlichen Sinne auf – eine Schönheit, welche man selbst durch lebhaftes Mitfühlen gleichsam ergänzt und mitschafft.
    Nun denn, dies ergänzende mitschaffende Gefühl für das Schöne d.h. das Wahre und Gute halte ich für den eigentlichen Keim einer echten Dichterbegabung. – »Das Herz ganz voll von einer großen Empfindung« »Der Dichter darf nur schildern, was er liebt oder geliebt hat« – diese Worte Goethes seien Richtschnur. Dies Gefühl, das man philosophisch die Sympathie nennt – meine Herrn, ich erhebe mein Glas auf dies Eine, was den Dichter macht, die » weltumfassende Liebe .«
    Als er sein langes Pronunciamento beendet, verbeugte sich Leonhart plötzlich mit leichtem Auflachen: »Mahlzeit, meine Herrschaften! Laßt's euch gut gehn!« und verließ die verblüffte Versammlung, während ihm Lämmerschreyer nach einer eleganten Rundum-Verbeugung mit dem Ruf »Herr Doctor, Ihr Überzieher!« dienstfertig nacheilte.
    »Der kommt wohl nicht wieder!« bemerkte Krastinik trocken zu Edelmann, welcher mit vielsagendem Schweigen und unheilverkündendem Schielen unterm Tisch seinen Kneifer putzte.
    »Wie er sein Froschtalent größenwahnsinnig aufbläht!« platzte Rafael mit ungewöhnlicher Heftigkeit los. »Er kann nicht ernst genommen werden. Welche unlöslichen Widersprüche, welche trostlose Unreife und erschreckliche Unwissenheit!«
    Der Sagus des Nordens schüttelte majestätisch sein bemoostes Haupt und wirkte vernichtend durch vielsagendes Schweigen. Ein Engel durchschritt lautlos das Zimmer. Es war, als ob ein Mehlthau sich auf die Blüthen dieses litterarischen Reform-Frühlings niedergesenkt hätte. Und doch hatte Leonhart ja gar nichts Verletzendes gesagt. Aber ein erdrückendes Gefühl von uneingestandener Ueberlegenheit dieses »Renommisten« beklemmte den freien Odem der stolzen Stürmer und Dränger. So drängen sich die Schafe ängstlich um den Leithammel zusammen, wenn der Löwe in die Herde fiel und sich ein Lamm von dannen trug.
     
    »Schändlich, schändlich! Sehen Sie, Herr Graf, diese Vermöbelung im sogenannten Witzblatt ›Rempler‹. Das ist Tell's Geschoß, das ist Leonhart's grobe Klaue!«
    Mit diesem Aufschrei tiefer sittlicher Entrüstung stürmten Haubitz und Edelmann in Krastiniks Stube.
    »Nun, nun, lassen Sie doch sehn!«
    »Das dürfen Sie nicht auf sich sitzen lassen, hochverehrter Herr Graf,« rief der Edle-Mann mit dem Brustton der Ueberzeugung, indem

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