Größenwahn
abgelauscht sei.
Einem andern Collegen, mit welchem er an den Ufern des Starnberger Sees entlang gepirscht und weiterhin zu einer Sennhütte emporgeklommen war, hatte er einmal, als sie so hoch über allem Thälerqualm im Angesicht der Felskuppen und der Abendröthe den Wein ihrer Feldflaschen schlürften, in weinerlicher Wehmuth zugerufen: »Sollte man nicht denken, daß hier Alles, Alles unter Einem bergtief versunken wäre, was an kleinlichen Begierden und dummen Sentimentalitäten uns in der ungesunden Hitze und Hetze der Großstädte gequält hat! Aber nein – da! Das quält mich noch hier!« Damit hielt er seinem erstaunten Freunde eine Photographie unter die Nase, welche eine weibliche Gestalt in einfachem dunkelm Gewande darstellte.
»Sakra! Ist die aber hübsch! Gratulire zu Deinem Geschmack!«
Da Rother aber in seiner gewöhnlichen süffisanten Manier jeder hübschen Larve die Cour geschnitten und den Schwerenöther gespielt hatte, so war Niemandem auch nur der Gedanke gekommen, daß diesen lebenseifrigen burschikosen Kunstjüngling bei seinen altbairischen Volksstudien zu seinem neuen Bilde »Die Sendlinger Schlacht« ein innerer Ahasver begleite, der ihn nimmer losließ und all seine Gedanken nur einem einzigen Drehpunkte zuschob.
Nur sein intimster Münchener Freund, der geniale Landschaftsmaler Knorrer, war in einer vertrauten Stunde dem Modellgeheimniß des weiblichen Studienkopfes nahegerückt. Und so hatte er ihm denn noch beim Abschied auf dem Bahnhof nachgerufen: »Du! Daß Du mir Deine Berliner Kaltblütigkeit behältst! Manchmal muß man rücksichtslos gegen Andere sein – sei's diesmal gegen Dich selbst! Willst? Daß Du mir Dein ›Motiv‹ nicht wieder aufsuchst! Ich rath's Dir! Such' ein andres Modell! Schäme Dich! Ein solcher Kerl und dies ewige Selbstgequäle! Laß fahren dahin! Sie war die erste nicht – und Du bist nicht der erste.« – –
Berlin! Das mächtige Räderwerk der heimathlichen Weltstadt sanfte und surrte wieder verwirrend um ihn her. Das unverdauliche Kümmelbrot, mit Schmalz beschmiert und mit Schinken belegt, das er eilig als Frühstück hinunterschlang, in der Kutscherkneipe des Anhalter Bahnhofs, die ihm am nächsten lag, weil seine Droschke dort grade hielt – muthete ihn so heimathlich berlinisch an! Billig und schlecht und nur märkischen Mägen verdaubar.
Kaum in seinem Atelier wieder eingebürgert – er bewohnte eine behaglich eingerichtete Junggesellen-Wohnung am Lützowplatz, wenn auch nur aus Atelier und Schlafzimmer bestehend, natürlich dritte Etage –, fühlte Rother den dämonischen Zwang, unverzüglich seiner Schwäche nachzugeben und erröthend den Spuren seiner Liebe zu folgen. Ja, er mußte sich vor sich selber schämen, er war sich seiner Thorheit bewußt, und doch!
Von Erfolgen begünstigt, in äußerlich befriedigenden Verhältnissen, fühlte er sich rastlos von der rasenden Leidenschaft verzehrt, die in ihm gährte und gegen die er vergeblich anzukämpfen suchte. Er mußte sie wiedersehn. Ja, sie, das Modell seines neuen Bildes. Oh dies neue Bild! Er musterte es nochmals. In München auf der Reise war es vollendet. Halb scheu, halb entzückt betrachtete er jetzt sein Werk, als er die Leinwand aus der Verkappung enthülst und auf die Staffelei gestellt hatte. Es stellte eine Baierische Bäuerin im halben Naturzustande vor; soeben hat sie ihr Mieder abgeworfen und blickt schwerathmend zum halboffenen Fenster hinaus, als ob sie etwas erwarte. Und sieh', dort ragt auch schon ein männlicher Kopf über das Fensterbrett empor – gleich wird ihr Liebster nächtlicherweile in ihre Arme fliegen. Dieser männliche Kopf trug die Züge Rothers selbst. Die Bäuerin aber, ein üppigschönes junges Weib mit klassischen Zügen – – er verglich jene Photographie mit ihr, die er stets auf dem Herzen mit sich trug: Ja, sie war erschreckend ähnlich!
Aus dem bairischen Hochland auf der Reise hatte er an sie geschrieben und ihr versichert: Wenn die ganze Welt sie verleumde und ihr 'was nachsage, er glaube fest an sie. Darauf hatte sie ihm sofort in einem reizenden Brief geantwortet, aus welchen er ihr unverzüglich nochmals geschrieben und ihr seine Münchener Adresse angegeben.
Kaum dort angelangt, fand er bereits einen neuen Brief von ihr vor. Sie hatte also ihren Maler nicht vergessen, der sie zuerst als Modell aufgespürt, als sie, eben nach Berlin gelangt, einige Wochen als Buffetière eines Wiener Cafés fungirt hatte. Zuerst hatte sie diesen
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