Größenwahn
seinen Skizzen und Compositionen wahre Rochefortstoffe, alles in »rothe« Sauce getaucht. Bekanntlich fraternisiren die Litteraturstudenten des Jüngsten Deutschland plötzlich mit dem vierten Stande, wenn sie der »Dalles« drückt, und dichten Zorn-Hymnen wider die Bourgeosie, sobald ihnen ein Pump mißglückte. Denn man verliert endlich die Geduld. So mußte sich dieser bartlose Jüngling an der Gesellschaft rächen, weil sie ihn nicht als embryonischen Kolossalkünstler erkennen wollte. Um diese Zeit reichte er eine Art Denkschrift über Michel Angelo auf der Akademie ein, in welcher erbaulich entwickelt wurde, daß eigentlich nur Er diesen Meister verstehe und nicht undeutlich durchschimmern ließ, der Geist dieses Giganten sei auf Ihn übergegangen – woran sich eine Lehre über Seelenwanderung nur so beiläufig anschloß.
Shelley's Studentenstreich »Ueber die Nothwendigkeit des Atheismus« mochte bei den Oxforder Perrücken kaum größere Entrüstung erregen, als dieses Schriftstück Rothers bei dem Lehrer-Collegium der Akademie, dem der Director es mit allerlei kaustischen Bemerkungen vorlas. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, in Folge dessen der fromme Jüngling seinen Meistern zu verstehen gab, ihre Meisterateliers für gegenseitiges Händewaschen, deren System er durchschaue, imponirten ihm nicht. Einer etwaigen Relegation zuvorkommend, empfahl er sich zu geneigtem Andenken und zog sich auf sein eigenes Privatatelier zurück.
Eines Tages holte ihn sein alter Schulfreund Eugen Wolffert ab, um das Sonnabend-Abendconcert im Zoologischen Garten zu besuchen. Sie ergingen sich dort in Weltschmerz und Raubthierhäusern, bis sie sich in die »Lästerallee« einschoben. Die mondbeglänzte Zaubernacht, durch bengalische Beleuchtung und unverzeihlich gute Musik verklärt, schwirrte von dem Klatschgeschwätz der üblichen guten Gesellschaft, die tausendköpfig durcheinander wirbelte. Rother fand viele entfernte Bekannte und stolzirte, wie er wähnte, sehr gentlemanlike einher. An einer Endbiegung Arm in Arm mit Wolffert herumschwenkend, trat an diesen ein widerlicher Geck heran, den Rother auch von Ansehen kannte, und verabredete mit demselben eine Reitpartie nach Hundekehle. Eugen der Olympier, den alle Dandy's als Altmeister verehrten, drohte leicht mit dem Finger und neckte in seiner herablassenden Schwerenötherart: »Was treiben Sie hier? Taugenichts!«
Der geschmeichelte Dandy schmunzelte: »Hehe, errathen! Hurra« Damit verschwand er geheimnißvoll und stürzte tief in den Menschenstrudel.
Eduard Rother wußte gleichsam instinktiv im gleichen Augenblick, welche Ella gemeint sei. Doch er wollte sich Gewißheit verschaffen. Auch nicht eine Bewegung sollte dem großen Weltkenner an seiner Seite verrathen, daß ihn das im Mindesten interessire. »Sieh doch da drüben den rothen Reflex überm Flammingo-Teich! Wie gut das wirkt! Du, da geht Deine heimliche Flamme, Klara Meier vom Schauspielhaus! Ach sieh doch mal dort Frau Hagar Satzler – so was Geziertes!« Sie schwammen immer rüstig fort durchs Gedränge. »Ah, da ist ja unser Freund Marbach wieder!« (Er hatte ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen verloren. So nachlässig beiläufig:) »Diese Ella ist wohl sein Amour?«
»Ja, eine romantische Geschichte! Der Vater ist ein Dickkopf. Haha, er hat uns Beiden mal den Marsch gemacht, als wir seine holde Tochter, die aus der ›höheren, Schule‹ kam, etwas schneidig nach Hause begleiteten.«
»Lächerbar! Wie heißt er denn? – Sieh doch diese Schleppe!«
»Eisenbaum! – Nun, was ist los?«
Der geckenhafte Jüngling (Sohn eines Millionärs in Colonialwaaren) war plötzlich hinter uns aufgetaucht und legte seine Hand auf Wolffert's Schulter, indem er lispelte: »Drehen Sie sich nachher mal zufällig um!« Er verschwand wieder.
Nach kurzer Pause drehten wir uns »zufällig« um. Hinter uns flanirte Ella mit einer »Freundin« (in Deutschland gleichbedeutend mit »Duenna«), lebhaft kokettirend und schmachtend, der schöne Lasse nebenher. Eduard sah sich sehr rasch wieder um, aber sie erkannte ihn doch und wurde roth. Ein unerklärlich schnippisches Hohnlächeln krümmte ihre Lippe. Er hingegen blieb ganz gemüthlich und lustig, nickte dem Dandy, den er kaum kannte, vertraulich zu und flanirte an Wolfferts Arm vor Jenen ruhig her, da ein Ausweichen in dieser wandelnden Menschenmauer unmöglich schien. »Robespierre,« begann er mit lauter Stimme – sie hatten vorhin tiefsinnigen Unsinn
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