Größenwahn
über die Französische Revolution ausgetauscht, deren Sphinxgeheimnisse man in den Flegeljahren bekanntlich spielend löst. Aber Wolffert, der sich lange umgedreht und fascinirend geäugelt hatte, brummte gedankenvoll: »Die ist ja aber doch sehr nett!« Offenbar erwachte in ihm der Gedanke, ob er, der Allbesieger, nicht seinen edeln Waffenbruder ausstechen könne. Eduard hätte ihn um die Ohren schlagen mögen, wiederholte aber mit lauter schnarrender Stimme: »Robespierre« –
»Jaja! Das war ein kleiner mickriger Kerl!« machte Eugen herablassend. »Mein Mann ist Danton, der geniale Alkibiades!«
Hinter ihnen plauderte und liebelte man – und Eduard ging ruhig schwatzend neben Wolffert her, während er auf jedes Wort hinter ihm gierig lauschte und seine Hand sich auf- und zukrampfte, als suche er eine Waffe. An der nächsten Biegung mußten sie sich kreuzen. Rother mußte grüßen und that es. Ella dankte kaum und sah gradaus. »Wen grüßtest Du denn da?« fragte Wolffert verwundert.
»Ella,« erwiderte Jener lakonisch.
»Kennst Du sie denn?«
»Oberflächlich. – Was Marat betrifft« – – Sie trafen nachher noch einmal den Lassen, diesmal allein, dessen Gesicht voll Glück strahlte. Im selben Augenblick kam die »Freundin« und winkte ihm. Er stürzte ihr nach und schlug sich seitwärts in die Gebüsche. »Aha, die Alten sind weg oder haben das Lamm aus den Augen verloren!« gähnte Wolffert. »Der Glückliche! Unbeobachtet von tausend Argusaugen!«
»Hm,« machte Rother kalt. »Wird wohl Schwindel sein. Der sieht mir doch gar nicht aus, als ob ein anständiges Mädchen –«
»Das verstehst Du nicht,« kanzelte ihn der Olympier mit überlegenem Lächeln ab. »Uebrigens bekannte Geschichte. Ich selber weiß es ja. Habe ihre Briefe an ihn gelesen. Sie hängt sehr an ihm, sehr!«
»So, so!« verlautbarte sich Rother gedehnt. »Also, um auf den besagten Hammel zurückzukommen, Desmoulins« – –
Er ging langsam nach Hause. Der Lärm der Wagen und das Rauschen der Musik verhallten hinter ihm, wie ein Rausch von Lust und Leichtsinn. Aus Versehen schlug er eine falsche Richtung ein und gerieth in das Erlenwäldchen, welches den Kanal entlang nach der heutigen Stadtbahnstation führt. Er war mutterseelenallein, diese Gegend damals noch völlig unbelebt, nach der Richtung des heutigen Kurfürstendamm lauter öde Sandflächen und Sümpfe. Hier konnte Einem der Hals abgeschnitten werden, ehe man einen Laut von sich gab. Er schritt fürbaß mit wildpochendem Herzen. Eine nebelige Mondnacht. Man konnte Erklönig lind seine Töchter durch die silberborkigen Erlen flattern sehen. Kohlschwarz lagen im Kanal die Torfschiffe Und Obstkähne, die einen eigenthümlich fauligen, Geruch verbreiteten. In der Finsterniß sahen sie wie Krokodile aus. In der Ferne brausten die Wogen der sogenannten Selbstmörder-Schleuse und ein einsamer Hund bellte den Mond an. Auch der einsame Wanderer sah zum Monde und fühlte einen geheimnißvollen Schmerz, als wolle seine eingesargte Seele den Körper sprengen. Ihm war, als fräße ein Polyp an seinem Herzen, als athme er umsonst nach freier Luft. Er athmete überhaupt schwer und unregelmäßig – schon damals spürte er sein Brustleiden.
Wie der Mond sich wunderte über das thörichte Menschenkind voll Jünglingsbrunst und Mannesernst, dessen Seele zu groß für seinen schmächtigen Körper! Wie er so dastand an der Schleusenbrücke, schien Alles um ihn zu versinken. Alles verloren. Was eigentlich, er wußte es nicht klar. Aber sein Lebensglück, sein Leben für immer verloren, verdorben. Diesen Ekel, diese Verachtung, diese gräßliche Selbsttäuschung überwand er nicht. Einen Augenblick dachte er ernstlich nach, ob er nicht ins Wasser springen solle. Es war damals Mode in Jung-Berlin, sich wegen Durchfall im Examen oder Schuldenmachen rundweg ins Jenseits zu befördern – eine wahre Manie, die sich bis auf die überbürdeten Tertianer der Gymnasien hinab erstreckte.
Aber seine geistige Natur war denn doch zu nervig auf Selbstgefühl erbaut und sein Größenwahn kam ihm zu Hülfe. Er verzweifeln wegen eines solchen Geschöpfes? Pfui! Lächerlich! – – Er fand sich richtig zur Charlottenburger Pferdebahn quer durchs Wäldchen nach rechts hinüber, die ihn nach Berlin zurückbrachte.
Wie lange war das Alles vergessen! wie lange war diese erste Jugendflamme des Narrenherzens, nachher eine glänzende Ballkönigin, die eine ihrer würdige »große Parthie« machte, seiner
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