Größenwahn
Erinnerung entschwanden! Seltsam, daß er heut so klar an das Alles dachte, als wäre es gestern gewesen. War es nicht symbolisch gewesen für sein ganzes Leben? Eine mimosenhaft zarte Natur wie die seine konnte nur bestimmt sein, sich ewig zu täuschen und getäuscht zu werden. Das Naturgesetz, das in des Menschen Wesen bei seiner Geburt gelegt, entwickelt sich logisch fort in tausend Varianten.
So gleiten die Tage spurlos dahin in Lebenshaß und Todesfurcht, sie häufen sich hinter uns wie welke Blätter, wie schemenhafte Nebel. Wir fühlen das Naturgesetz, daß die Tugend sich selbst belohnt, und fröhnen dennoch dem Laster, um die entnervende Langeweile abzuschütteln. Wille? Selbstwiderspruch ist das einzige Unrecht. Warum hat die Natur uns unglückliche Schufte und schuftige Unglückliche zur Sünde erzeugt, und straft uns hinterher, weil wir dieser Bestimmung folgen? Warum lauert der Vampyr des Ueberdrusses über dem Schlangensumpf der Begierden. Arbeite! Was? Warum? Ja, so erbärmlich ist unser Loos, daß der Fluch Adams unser einziger Segen scheint – eine Art Opium, um den Dämon des Gedankens zu betäuben, der uns umherjagt wie einen Verbannten, der sein Exil und sein Urtheil in sich selber trägt. – –
Es giebt Momente, wo das Gefühl des Schmerzes zu maßloser Ungerechtigkeit in Beurtheilung der Mitmenschen und überspannter Geringschätzung des gesammten Außenlebens, der Sansara , führt. Ein Abgrund scheint sich plötzlich vor dem Auge des Denkenden zu öffnen: die Nichtigkeit menschlichen Strebens, die Eitelkeit menschlicher Genüsse grinst dem menschlichen Geist entgegen, der zurückschaudert wie der Basilisk bei seinem Anblick im Spiegel. Graue Wüsten ohne Palmen der Schönheit und Quellen der Reinheit dehnen sich endlos umher, die Oase der Liebe ist vom Samum der Leidenschaft verschüttet und Bülbul Poesie scheint eine geschwätzige Elster. Das ist der Abgrund des ewigen Weltwehs – der Schemen Nirvana steigt aus ihm empor, um uns mit Spinnenarmen ins Nichts hinabzureißen.
Von Hügel zu Hügel schweifen meine Blicke über die unendliche Fläche hin und eine Stimme dringt vernehmlich an mein Ohr: Nirgends hier erwartet Dich das Glück. Was hülfe es mir, den Lauf der Sonne zu begleiten – ich begehre nichts, was sie bescheint. Wie eine sturmverschlagene irrende Seele, schleiche ich durch die Welt.
Der Wagen der Nacht durchrollt die Aetherwogen. Die Zweige rispeln. Es ist, als höre man die Schatten der Todten dahinschweben. Ein Mondstrahl berührt sanft meine Stirn, als wolle er Licht streuen in meine dunkele Seele und ihr das Geheimniß der Sphären enthüllen, als wolle er die Morgenröthe eines Jenseitstages prophezeien.
Der Wälder niederhängende Wipfel bedecken mich mit Frieden und Schweigen. Die Bäche, unter Laubbrücken verborgen, schlängeln sich durch die Thäler und spiegeln sie ab. Sie mischen ihre murmelnde Fluth und verlieren sich dann spurlos. So ist die Quelle meiner Jugend zerronnen, ohne Rückkehr. Doch jene Fluth ist klar und meine Seele so trüb. Wie ein Kind vom Ammenliede gewiegt, schlummere ich ein zum Gemurmel des Wasserfalls.
Die Berge stehen sich gegenüber wie feindliche Brüder, die dort in ihrem Haß versteinert. Schon tausend Jahre stehen sie so mit gefurchtem runzligem Antlitz, schneeweiß bleichte ihr Haar. Doch Abends, wenn die Sonne sie überglüht, dann brechen die Wunden auf, dann überrieselt Blut ihre Stirn.
Ein unbesieglicher unwiderstehlicher Drang nach Selbstvernichtung jauchzte in dem totmüden Menschenwurm empor. Ihm war das All götterlos, ohne Ordner und Lenker. Kein Steuer leitete ihn durch den Ocean des Unendlichen und der feste Strand der Erde widerte ihn an. Aber sein Gedanke kreuzte furchtlos durch den unendlichen Raum, von der Ahnung des Unvergänglichen getragen. Eine sterbeselige Todessehnsucht dehnte und weitete seine kranke Brust. Wenn die trivialen Freuden des Lebens als werthlos versinken, wenn selbst die äußere Schönheit der Natur nicht mehr befriedigt, wenn der kindliche »liebe Gott«, die formelle Religion, in Staub zerfiel und der wahre Gott noch nicht an seine Stelle trat – dann erfaßt das Gemüth eine brünstige Leidenschaft für die reinen wandellosen Elemente, denen der Mensch mit seinem geistigen Hochmuth und seiner physischen Niedrigkeit als Zerrbild gegenübersteht. Eine schmerzliche süße Begierde verlangt sich aufzulösen, aufzugehen im Grenzenlosen.
Ja, er mußte sterben. Das war das
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