Größenwahn
neuen Beruf mit Eifer erfaßt. Freilich »saß« sie nur zu Kopf und Händen. Gegen alle und jede »Aktstudien« wehrte sie sich energisch. Und endlich erklärte sie, daß das Modellstehen zwar einträglich, aber nicht anständig sei, weil sie ewig von den Herrn Malern, ob jung ob alt, mit zudringlichen Anträgen bestürmt werde. Da ziehe sie es denn doch vor, wieder als Zahlkellnerin in einem Wiener Café ihr Brot zu verdienen, wo sie vor derlei sicher sei. Kurz vor Rothers Abreise hatte sie diesen Vorsatz auch ausgeführt und in einem belebten Lokal dieser Art in der Nähe des Alexanderplatzes ihre neue Stelle angetreten, wo sich auch alsbald ihre auffallende Schönheit als eine Zugkraft bewies. Rother, ihr platonischer Anbeter – angeblich besaß sie keine andern – war also mit der Wunde im Herzen abgedampft. Und nun quälte ihn der Gedanke, was sie wohl von seinem compromittirenden Bilde sagen werde, da sie doch niemals Alt gestanden und ihr Körper von ihm gleichwohl mit so realistischer Deutlichkeit gezeichnet schien, – so daß, was bei ihm verliebte Inspiration, als Indiscretion aufgefaßt werden konnte.
Sie hatte ihn nach München benachrichtigt, daß sie nach Treptow den Sommer hinausgekommen sei, da ihr Wirth dort eine Filiale für die dortigen Sommerfrischler übernommen habe, wobei aber nur die Lieferung des Kaffees u.s.w. ihm oblag, während der dortige Wirth Garten und Lokal als Besitzer weiterführte. – –
Es vergingen keine achtundvierzig Stunden, daß nicht Rother plötzlich in dem alten Café wieder auftauchte. Der Wirth empfing ihn sehr höflich und fragte, ob »Herr Professor« wisse, daß Kathi in Treptow sei. Rother stellte sich unwissend, merkte aber, daß der Wirth recht wohl wußte, daß Kathi mit ihm correspondirt hatte. Am andern Vormittag ging's also nach Treptow. Er suchte und fand das Lokal.
Als er eintrat – es ging durch einen offenen gallerieartigen Vorbau in den geräumigen Garten hinaus – und sich rasch umblickte, sah er Kathi in schwarzem Kleid mit einem Kellner an einem Tisch sitzen. Er blickte sie blitzschnell an – und über sie weg und schritt rasch in den Garten hinaus. Sie war feuerroth geworden und stierte ihn sprachlos an, als sei er eine Geistererscheinung. Es war auch ein überraschender Ueberfall, wahrhaftig. – Er placirte sich an einem Tisch und befahl eine Zeitung, ohne nach ihr hinzuschielen. Sie ließ sich jedoch nicht blicken.
Endlich riß ihm die Geduld und er kritzelte ein paar Worte auf ein Blatt Papier, sie möge mal herauskommen. Der Kellner, dem er die Besorgung aufgetragen, sagte ihm, Frl. Kreutzner sei in ihre Stube gegangen. Da dürfe er nicht hinein, wenn sie sich umziehe. Doch werde er ihr das Schreiben übergeben.
Rother überlegte etwas, dann empfahl er sich, nachdem er noch rasch gespeist, mit dem Bemerken, er werde in ein paar Stunden wiederkommen, und pilgerte lange Zeit im nahen Park umher. Ihm war trotz alledem wohl zu Muth, da die Aufregung sein Blut schneller rollen ließ und er auf das Wiedersehen gespannt war. Alle Vögel zwitscherten von brünstiger Sehnsucht, der heiße duftige Sommernachmittag ließ alle Fibern seines Innern wollüstig erzittern. – –
»Ja, die ist soeben nach Berlin gefahren,« meldete der Oberkellner trocken.
»Was?« Eduard wurde bleich vor Zorn.
»Nach dem Arzt, wie sie sagte. Sie ist krank. Den Zettel habe ich ihr aber gegeben.«
Eduard verkannte nicht, daß sie bei ihrer Kränklichkeit, von der sie ja stets gemunkelt hatte – auch der Kellner versicherte ernsthaft, sie sei schon lange leidend und erst eben von Bettlägerigkeit aufgestanden – – wohl des Arztes bedürfen mochte. Gleichwohl schien es doch auffallend, daß sie so gleichsam vor ihm davon rannte.
Er verlangte Schreibzeug und schrieb einen langen Brief, welchen er dann nicht dem Kellner, sondern dem Postkasten anvertraute. Dieser war sehr energisch und bestimmt gehalten: sie möge ihm sagen, was dies Benehmen zu bedeuten habe. Sie solle nun erklären, ob sie wirklich Interesse für ihn habe, wie man nach ihren Briefen vermuthen mußte. Und dergleichen mehr. Er erwarte von ihr binnen wenigen Tagen Antwort.
Eduard wartete. Aber die Antwort kam nicht. So entschloß er sich denn, nach vier Tagen nochmals dorthin zu schreiben. Er werde drei Tage darauf um zwölf Uhr am Eingang des Parkes auf sie warten. Wenn sie dann nicht komme, seien sie für immer geschieden.
In heftiger Aufregung erschien er zur festgesetzten Zeit an jenem
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