Größenwahn
sich von jenem höheren Stallknecht ihre intimsten Bedürfnisse besorgen lasse, ergriff ihn selbst eine verzehrende Begier.
Nachdem er in schlafloser Nacht seine gramvolle Leidenschaft hin- und hergewälzt, machte er sich am andern Morgen auf. Theils seine Leidenschaft theils seine Eitelkeit, die einen Eklat fürchtete, trieben ihn an, sie nicht loszulassen, sondern auf ihrer Spur zu bleiben. Diesmal benutzte er die Pferdebahn von der Weidendammer Brücke aus. Welch ein endloser Weg, die Chausseestraße und die endlose Müllerstraße entlang! Aber er fand richtig das Haus, und als er drei Treppen rechts im Vordergebäude klingelte – ihm zitterten die Kniee vor Erwartung, als er die schmutzig steile Treppe hinanstieg – öffnete ihm diesmal eine anständig aussehende Frau und bat ihn einzutreten, als er nach Fräulein Kreutzner fragte. Die Dame sei ausgegangen, um eine Stelle zu suchen. »Sind Sie nicht der Herr Agent, den sie erwartete?« Rother brummte etwas Ausweichendes vor sich hin und bat um Schreibzeug. Dann hinterließ er Kathi einen Brief, er werde um fünf Uhr bei ihr vorsprechen. Er beschwöre sie, auf ihn zu hören. Ihr Schicksal liege in ihrer Hand; dies sei sein letztes Wort.
Er fuhr direkt in das Café Bammer zurück und schlürfte mit unbefangenster Miene seinen Eierpunsch, während er aufmerksam horchte. Es erschien nämlich nunmehr eine Gestalt auf der Bildfläche, die von besonderer Wichtigkeit für den Fall sein konnte. Herr Wursteler, ein stets elegant gekleideter, schwarzhaariger und wohlaussehender Dreißiger, wohnte bei seinem Freunde Bammer. Beide waren Spießgesellen aus frühen Jugendtagen und hatten von einander Mancherlei zu verschweigen. Wursteler fröhnte einem kavaliermäßigen Müssiggang, obschon er sich unter dem vieldeutigen Namen »Agent« herumtrieb. Er besaß eine Gattin, welche ziemlich häßlich, aber anständig aussah und, wegen eines kleinen Batzen Geldes von dem flotten Schwerenöther geehelicht, nun an chronischer Eifersucht leiden mußte. Hinter Kathi war er immer anbetend hergeschlichen, wie Bammer einmal Rother lachend erzählte, und pflegte ihr zärtlich Morgens aufzulauern, wenn sie aus ihrer Stube ins Lokal hinunterkam, wofür er »a sakrische Watschen« schon mehrmals geerntet hatte. – Nun ergab sich aber, daß jene neue Wirthin Kathis durch Wurstelers dieser empfohlen war und daß Wurstelers, wie jetzt herauskam und gestanden wurde, auf Kathis Kosten mit dieser die erste Nacht im Grand Hotel zugebracht hatten, ehe sie zu der Wirthin Frau Lämmers, die ihre Wohnung in der Gerichtsstraße eben erst gemiethet hatte, einzog. Ueber alles Weitere fehlte hingegen auch Wurstelers jede Nachricht; sie brach hier ab.
Auch tauchte jetzt die schwarze Emmy hinterm Buffettisch auf, wo einst Kathi gethront, ihre holde Rivalin. Man sagte ihr nach, daß sie Herrn Bammers stille Schäferstündchen theile und ihr Kammer-Riegel für ihn nicht schließe. Es war, wie sie Rother einmal geklagt hatte, die bekannte Verleumdung der Welt. Sie begrüßte ihn nunmehr mit einem vielsagenden meckernden Kichern – sie lachte immer gezwungen, wie mit dem Magen –, was Rother jedoch absichtlich nicht verstand. Er that natürlich, als ob ihn das sehr lebhafte Gespräch über Kathis Schandthaten nichts angehe. Betreffs des Getroffenwerdens in der Reichensbergerstraße hatte sie nämlich behauptet, in einem scharfen Brief an die Wurstelers, daß sie einfach ihre Wirthin, die ihre Schwester zum Görlitzer Bahnhof brachte, begleitet habe.
»Die Sache ist auch noch nicht aufgeklärt,« bemerkte Wursteler mit Emphase, »dahinter steckt auch noch etwas. Sie hat da irgend ein Verhältniß.«
»Ja,« fiel Frau Wursteler ein, »er hat ihr letzthin mehrmals Briefe geschrieben. Er ist ja wohl in München.« Rother horchte hochauf und bewegte sich unruhig hin und her.
»Ja, jetzt soll er aber wieder hier sein,« machte Wursteler, indem er möglichst unbefangen aussah; Rother, der ihn beobachtete, vermochte durchaus keinen lauernden Seitenblick aufzufangen. »Neulich als sie von Treptow hereinkam, sagte sie so etwas im Allgemeinen: ›Ich denke, er ist verreist und da ist er wieder hier!‹«
»So?« fragte Rother mit etwas heiserer Stimme; er spürte eine gewisse Trockenheit im Halse, als ob er sich in sengender Hitze durch Sandwüsten halb verschmachtet hinschleppe. »Hat sie denn nie gesagt, wer das ist?«
»Nein,« fiel die schwarze Emmy geschwätzig plappernd ein. »Nur etwas war da, so'n
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