Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
solche Feldherrnherrscher bekunden, kann hier ja nicht die Rede sein. Freilich, die originale Fortentwickelungsfähigkeit einer schöpferischen Einbildungskraft, welche mir das eigentliche Wesen des Genies auszumachen scheint, besitzt ja der Einiger Deutschlands auch.«
    »Wieso?«
    »Nun, seine patriotische Idee, von der er dämonisch beherrscht blieb, reifte unablässig in ihm fort. Er trug sie mit sich, er modelte sie stetig um und paßte sie rastlos allen sich bietenden Verhältnissen an.«
    »Schon recht. Aber der ekelhafte Götzendienst seiner knechtischen Schmeichler muß doch jeden unabhängigen Mann zum Widerspruch reizen,« erwiderte Krastinik.
    »Hm, er bleibt nun eben doch der größte Meistervirtuose der diplomatischen Technik. Wenn man seine Leitung unsrer auswärtigen Geschäfte sorgsam prüft, so wird man zum Verständniß dieser eigenthümlichen Genialität gelangen.«
    »Und über ihn als Charakter ...«
    »Ach, darüber reden wir doch lieber nicht. Eine optimistische Anschauung zu theilen oder anzufechten, kann keinem Verständigen belieben, da den Zeitgenossen ein genügendes Material zu Gebote sieht. Es gehört der Tiefblick eines Dichter-Psychologen dazu,« Leonhart betonte diese Worte mit verstecktem Selbstbewußtsein, »um die Widersprüche im Charakter dämonischer Individualitäten zu lösen und zu verknüpfen.«
    »Das soll wohl heißen: Die Feinde des Bismarckschen Charakters wie die Verehrer desselben haben alle beide recht und alle beide Unrecht?«
    »Just so, exactly,«
Leonhart liebte es, solche englische Brocken einzustreuen – »sobald man einseitig bei Fehlern oder Vorzügen des Privatmenschen verweilt. Na, und dann gehört es ja zu den unleugbaren Schwächen dieses großen Mannes, jede Antastung seiner unfehlbaren Makellosigkeit als eine Art Gotteslästerung, auch ›Bismarckbeleidigung‹ genannt, aufzufassen: Das ist eben sein Größenwahn . Da behält ein gescheidter Mann seine Ansicht am liebsten für sich, heut wo das Denunciantenthum förmlich herangezüchtet wird. Denn wer die Macht hat, hat immer Recht. Uebrigens, wem steht heut ein maßgebendes oder gar abschließendes Urtheil zu! Seichte und selbstische Parteimeinung deckt sich nimmer mit dem unbestechlichen Wahrspruch, den dereinst überlegene Wissende vor dem Richterstuhl der Geschichte fällen werden.«
    »Jaja, ein Urtheil über Männer der That ist überhaupt schwer,« bemerkte der Graf sehr richtig. »Die Gedankenfaulheit urtheilt ja da immer nur nach dem Erfolg. Das mechanische Getriebe der Welthändel unterscheidet sich doch gar sehr von den ewigen Thaten der Kunst und Wissenschaft. Wie kann eine feststehende Werthung möglich sein, wo so Vieles vom Zufall und den
›untoward events‹
abhängt! Und ist nicht Bismarck Opportunist durch und durch?«
    »Das ist kein Vorwurf, sondern ein Lob für den Staatsmann, der nur von den Schiebungen der Möglichkeiten bestimmt wird und dessen Größe gerade in dem klaren Blick für das augenblicklich Nothwendige besteht. Und hat etwa der gewaltige Mann je darüber den einen Zweck vergessen, den er mit eherner Konsequenz durch sein ganzes thatenreiches Leben verfolgte?«
    »Na, ein selbstloser Idealist kann er doch wenigstens nicht genannt werden. Stets hat er verstanden, sein eigenes Wohl mit der Wohlfahrt des Vaterlandes zu vereinen. Und dabei klagt er noch über die sprichwörtliche Undankbarkeit der deutschen Nation!«
    »Ja,« sagte Leonhart lächelnd, »man denkt unwillkürlich an das boshafte Pamphlet Swifts über den schweren Undank, mit welchem Marlborough sich belastet erklärte – in der runden Summe von 54000 Pfund Sterling! Im Gegentheil, ›es ehrt die Nation in der Gegenwart und stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft‹, wie es in dem herrlichen Briefe des Kaisers vom 1. April 1885 heißt, wenn sie das Große anerkennt. Denn wahrlich, dieser Bismarck ist nach Luther und Friedrich unser verdientester Mann.«
    »Nun ja, er besitzt ein Willenszentrum von außerordentlicher Stärke, wie schon seine Bulldoggennase beweist,« meinte der Oesterreicher achselzuckend. »Aber das Geheimniß seiner Erfolge liegt doch in der Bornirtheit und Verlotterung der herkömmlichen Diplomatie, mit welcher er zu ringen hatte. An seiner Stelle mit seiner Macht könnten Viele das Gleiche leisten. Pah, mein Bester, die betreffenden politischen Schiebungen bestimmen meist die Politik halb willenlos und als Leiter von 46 Millionen kann man schon gebietend auftreten. Hat doch sogar

Weitere Kostenlose Bücher