Größenwahn
Excellenz Windthorst in offenem Reichstag ähnliches verlauten lassen!«
Leonhart schüttelte den Kopf und sann einen Augenblick nach. Dann fragte er: »Langweilt es Sie, wenn ich Ihnen meine Auffassung der Bismarckschen Politik vortrage?«
»Im Gegentheil. Ich bitte darum.«
Jener räusperte sich und begann, indem die Gedanken ihm stromweise zuflossen:
»So geniale Züge wir in der Politik Richelieus, Cromwells und Napoleons bewundern, möchte ich doch beinahe die Behauptung wagen, daß ein solcher Meistervirtuose der diplomatischen Technik in den auswärtigen Angelegenheiten kaum jemals erstanden sei, daß Bismarck als diplomatischer Spezialist ungefähr die Stellung unter seinen Kollegen einnehme, wie sein Lieblingsdichter Shakespeare in der Litteratur.
Bei der Abwägung und Werthung staatsmännischer Verdienste muß man in erster Linie die Umstände selbst in Berechnung ziehen. Es war z.B. ein gut Stück Arbeit, wenn Gustav Adolf und Oxenstjerna das kleine arme Schweden zu einer Großmacht erhoben. Aber die europäische Konstellation lag diesem Beginnen auch überaus günstig und zuletzt nahm dies ungesunde Hinaufschrauben eines Kleinstaats zu unmöglicher Stellung ein Ende mit Schrecken. Napoleon und Cromwell vollführten gewiß Staunenwerthes, doch ersterer wurde durch die Elementarkraft der Revolution so hoch gehoben, letzterer blieb vor direkter Einmischung des Auslands durch Englands Inselthum geschützt. Bismarck aber fand Preußen in tiefster Erniedrigung und führte es aus denkbar ungünstigsten Verhältnissen, im Kampf mit dem Innern wie mit dem Auslande, zu der ihm gebührenden Welthegemonie empor.
Daß die Sehnsucht nach der Einheit in ganz Deutschland verbreitet war, daß Myriaden braver Deutscher vor Bismarck darnach gestrebt hatten, daß ihm, sobald man erst sein wahres Ziel erkannte, diese ganze große Nation einmüthig entgegenjubelte, thut seinem besondern Verdienste keinen Abbruch. Daß er schon auf dem Frankfurter Bundestag seinen Schwur des Hannibal im Herzen trug, wird wohl heut kaum einer mehr bezweifeln. Freilich nur in unbestimmten Umrissen. Daß er wie jeder geniale Mensch mit seinen Zielen wuchs, an seinen Erfolgen sich fortentwickelte, steht außer Frage. Erst nach 1870 wurde er ganz Deutscher , bis dahin vertrat er lediglich das Interesse Preußens . Ehre ihm dafür!
›Charity begins at home!‹
sagt das englische Sprichwort.
Erst wenn ein geschichtlicher Individualmensch dadurch erklärt werden soll, merkt man so recht das Mißliche des Vergleichens. Da hat man in der Konfliktszeit Bismarck den preußischen Strafford genannt, weil sein zäher Royalismus an jenen starrköpfigen Minister Karls I. zu gemahnen schien. Und doch erinnert Bismarcks Wesen und Gebahren gerade umgekehrt an die hochmüthigen, nervenkranken, jähzornigen, portweinliebenden Pitts, mit welchen er auch den bis zum Fanatismus gesteigerten Nationalstolz theilt. ›Wenn ich denn von einem Teufel besessen bin, so sei es ein teutonischer Teufel!‹ diese Worte des einstigen Gesandten in Petersburg soll die Geschichte auf das Grabmal des Reichskanzlers schreiben, wie auf das des jüngeren Pitt den Liebesseufzer des Sterbenden:
›My country, how do I love my country!‹
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Bis 1864 mußte die Politik Bismarcks dahin streben, Preußen möglichst isolirt zu halten, um bei dem augenblicklichen Uebergewicht Oesterreichs im deutschen Bunde nicht ins Schlepptau genommen zu werden und ein zweites Olmütz zu erleiden. Die Neutralität 1859, die freundschaftliche Annäherung an Rußland 1863 und die trotzige Gleichgültigkeit gegen die Forderungen der Westmächte waren wichtige Etappen auf dem langen Wege, den er vor sich sah und mit immer gleicher Umsicht und Festigkeit verfolgte.
Als sein diplomatisches Meisterstück aber hat er stets das Jahr 1864 bezeichnet, wo es ihm gelang, den Rivalen Oesterreich selbst als Hebel zu benutzen, indem er zugleich durch das Danaergeschenk Holsteins bereits den nöthigen Zankdrossel für den lange sorgsam vorbereiteten Bruch mit Oesterreich diesem hinwarf. Von da ab, Oesterreich über das nahende Ungewitter so lange wie möglich täuschend, galt es freundliche Fühlung mit Napoleon zu gewinnen und unter dem Schutz dieser Deckung mit Napoleons Klientelstaat Italien sich gegen den gemeinsamen Feind Oesterreich zu verbinden. Daß Bismarck 1866-68 ein sogenanntes falsches Spiel mit Napoleon trieb, darf kaum bestritten werden. Die Enthüllungen Benedettis über die zweideutige List, mit
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