Größenwahn
welcher Bismarck ihm die geheimen Wünsche Frankreichs ablockte und selbst in Form eines Vertrags zu Papier bringen ließ – mit der festen Absicht, eben diesen Vertrag später gegen Frankreich auszuspielen, wie es 1870 wirklich geschah – sind nie positiv widerlegt worden. Lag doch ein besonderer Kniff der Bismarckschen Politik stets darin, den Feind ins Unrecht zu setzen und genau zu dem Schritte zu verleiten, der im richtigen Augenblick den gewünschten Krieg herbeiführen mußte. Diese Taktik wurde denn auch 1870 meisterlich angewandt.«
»Alles ist erlaubt im Krieg und in der Politik – gegen diesen Grundsatz läßt sich schlechterdings nichts einwenden. Es gewährt einen besonderen Genuß, in der Luxemburger Frage 1867 das Schachspiel des im Dupiren stets dupirten Ränkeschmieds Louis Napoleon mit dem kaltblütig sicheren ›Mann von Eisen‹ zu beobachten, der stets vorsichtig, nie übereilt und im gegebenen, Fall unerschütterlich entschlossen, weder Bitten noch Drohungen zugänglich erschien.
Nachdem man sich 1870 durch Rußland gegen Oesterreich gedeckt, wurde bald genug klar, daß die Errichtung des deutschen Reiches und die Demüthigung Frankreichs von Rußland als eine Störung des europäischen Gleichgewichts empfunden wurden. Es blieb daher nur ein Ausweg und ihn ergriff Bismarck mit untrüglichem Scharfblick im geeigneten Moment: Aussöhnung mit Oesterreich und Bündniß der zwei deutschen Kaisermächte als Bollwerk Mitteleuropas gegen Osten und Westen. Außerdem galt es, durch die Kolonialbeziehungen Frankreich und England wechselseitig gegen einander auszuspielen. Die absolut richtige Haltung Deutschlands in der Bulgarischen Frage, welche Oesterreichs wahre Interessenpolitik klarlegte und dessen nothwendige Entschlossenheit, in gewissen Fällen selbst auf eigene Faust seine Stellung zu bewahren, erwies, scheint von Schwachköpfen ebenso wenig begriffen, wie früher die tiefdurchdachte Führung des Meisters in anderen Fragen.«
Leonhart schwieg einen Augenblick, dann lachte er leise, vor sich hin und fuhr fort:
»Es hat einen tragikomischen Beigeschmack zu beobachten, wie auch diesem Manne der That keine der üblichen Scherze erspart blieben, die man an jedem genialen Menschen verübt, bis Erfolg und Macht ihn gefeit haben. Das berühmte ›Was, der will mehr sein als ich? Der hat ja mit mir am Biertisch gesessen!‹ begleitete auch Bismarcks Auftreten und man wunderte sich nicht wenig über diesen Glückspilz, der Karriere zu machen anfing, ohne regelrechte Staatsexamina absolvirt zu haben. Von übersprudelndem aufrichtigem Wahrheitsdrange beherrscht, konnte er öfters den jovialen Herzensergießungen seiner Zunge nicht Halt gebieten und vertraute seine großen Pläne Leuten an, die ihn gar nicht zu verstehen fähig waren.
›Il est fou‹
urtheilte Napoleon über den Mann von Varzin und der intriguante Phantast Disraeli nannte Bismarcks vertrauliche Eröffnungen
›the moon-shine of a German baron!‹
Endlich fanden von jeher größenwahnsinnige Impotenzen, daß dieser erfolgreiche Streber weit überschätzt werde und daß eigentlich sie die wahren Messiasse seien – so Graf Goltz, so später Graf Harry Arnim. Ein Glück für die deutsche Nation, daß der eiserne Kanzler keine weichherzigen Humanitätsflausen zu üben pflegt, sondern all dies Völkchen mit rücksichtsloser Härte unter seine Sporen tritt.
Und so steht er nun schon jetzt vor dem Auge der Mitwelt wie eine bronzene Statue da in seinen Siebenmeilenstiefeln, den wuchtigen Flamberg dem Boden eingerammt und das Wodanauge unter buschigen Brauen hervorblitzend aus dem behelmten Haupte. Wenn er sich zur letzten Ruhe streckt –
›Il est mort!‹
wird man in Europa aufstöhnen, wie bei der Todesnachricht von St. Helena –, so darf er sich selbst gestehen, daß ein heroisches Leben hinter ihm liege. Man mag an ihm mäkeln, so viel man will – er war unser letzter großer Mann, die mächtigste Erscheinung Deutschlands in diesem Jahrhundert, welcher sich kein Ebenbürtiger in der übrigen Welt vergleichen darf. Der würdevolle großherzige Gentleman, der als erster deutscher Kaiser und echter Mehrer des Reichs so glorreich seinem Volke vorleuchtete, und sein treuer Hagen werden ewig in deutschen Landen fortleben als Ideale heroischer Männlichkeit. Und ein neuer Nibelungendichter wird dereinst von Otto dem Großen singen und sagen, wie von dem alten Marschall der Burgonden:
›Da ritt der grimme Hagen den andern all zuvor,
Er
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