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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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dämonischen Selbstsucht-Instinkt dieser Race und schätze sie als zersetzendes Element für die teutonische schlafmützige Michelei. Nur darf die semitische Unduldsamkeit nicht jedes freie Wort verpönen. Ich hasse nicht die Juden, sondern den jüdischen Geist. Und der steckt in manchem getauften Antisemiten erst recht. Ich habe den Muth meiner Meinung und sage ins Gesicht, was die Philosemiten hinter'm Rücken ihrer jüdischen Brotherrn stänkern. Aber nicht mal die jüdische Presse, die vielverschrieene, taugt weniger als die christliche. Stets gerecht, erkenne ich gewisse großartige Eigenschaften des Judenthums im Gegensatz zu deutscher Kleinlichkeit willig an. Der semitische Größenwahn gründet sich auf wirkliches Kraftgefühl und ihr Nützlichkeitsprinzip verbindet sich sogar mit warmblütigem Gemüth. Eigentlich liebe ich die Juden, diese willensstarke napoleonische Race, ebenso wie ihre Weiber oft den ältesten Blutadel der Welt im Gesichtsschnitt aufweisen.«
    »Sie sonderbarer Schwärmer! Und haben's doch so ganz mit den Söhnen Israels verdorben!«
    »Mit wem hätte ich das nicht?!«
    »Sehr wahr. Wie werden die Schulmeister auf Sie schimpfen nach Ihrer neulichen Rede!«
    »Pah!« lachte der Umstürzler verächtlich. »Kerls, die ihr Waschbecken für den Ocean ansehn und den alten Homer, dem bei ihrem Anblick übel geworden wäre, als ihr Eigenthum betrachten! O diese Kleinigkeitskrämer! Wo ist ein Mann, ein Ganzer, unter all diesen Halbmenschen!«
    In diesem Augenblick kam eine merkwürdige Erscheinung die Friedenauer Chaussee herab, wie als Antwort auf diese Frage. Ein ungeheurer Hund sprang bellend vorüber und dann folgte ein Herr (seine Kutsche rollte in einiger Entfernung nach) in einfachem schwarzem Anzug mit einem großen Schlapphut, so wie der alte Wodan ihn getragen haben soll. Und ein durchdringendes forschendes Wodansauge flammte unter buschigen Brauen auf, als die Beiden ehrerbietig grüßten und er höflich dankte. In diesen Zügen, welche Europa kennt, lag eine tiefe unergründliche Trauer.
    Die Hünengestalt schritt wuchtig vorüber. Die Beiden sahen ihm lange schweigend nach, dann setzten sie ihren Weg fort.
    »Schwer genug,« hob Leonhart nach einer Pause, wo Jeder seinen Gedanken nachhing, an, »ja, fast unmöglich, schon heute über einen Bismarck abschließend zu urtheilen! In ununterbrochener Entwickelungskette wälzt sich die Geschichte fort. Diese Kette führt von den Wickingfahrten der Nordseesachsen zur Hansa, von den Wendenkämpfen zum deutschen Orden in Preußen, von den Hohenstaufen zu den Hohenzollern.«
    »Sehr gut,« fiel Krastinik ein. »Das ließe sich noch weiter ausführen. Der Nibelungendichter, Wolfram und Walter befähigten wohl Goethe, Schiller und Hutten zu sprechen.«
    »Zweifellos. Es ist der Geist Luthers, der in Lessing weiterwirkt.«
    »Und vielleicht das Genie Friedrichs des Großen, dessen Abglanz auf Bismarck ruht? Aber nein, dieser Vergleich würde hinken. Vielmehr scheint mir gerade Luther« – er zögerte.
    »Ganz recht,« bekräftigte Leonhart. »Dieser derbe sächsische Bauer gemahnt am meisten an Bismarck, falls wir nach einer Parallele suchen.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Bezeichnet Bismarck einen Uebergang oder einen Höhepunkt, ein Bleibendes im kreisenden Werden der Dinge? Wir wissen es nicht. Eins aber wissen wir: daß auf ihn die Definition paßt, die Carlyle, der Prediger der Heroen-Verehrung, einem ›Helden‹ giebt: ›Es ist jederzeit die Eigenart des Helden, auf die Realitäten zurückzukommen, sich auf die Dinge, statt auf den Schein der Dinge zu stützen.‹ Auch hat die Prophetenstimme des modernen England sich dahin erklärt: Bismarck sei eine Art Cromwell, soweit dies in unsrer armseligen Zeit möglich. Wirklich ähnelt der grimme Feind des deutschen Plapperments dem parlamentauflösenden Lord-Protektor durch eherne Thatkraft und Zähigkeit sowie eine gewisse Rücksichtslosigkeit im Zugreifen.«
    »Hm, ja.« Der Graf nickte nachdenklich. »Selbst das Verhältniß Bismarcks zu Moltke mag Vergleich-Jäger an dasjenige Cromwells zu Blake erinnern. Allein von der mystischen Gefühlstiefe und düstern schmerzvollen Gluth des Puritaners kann man doch nur mangelhafte Spuren in dem praktischen preußischen Weltmann entdecken.«
    »Na überhaupt! Das wollen wir denn doch dahingestellt sein lassen, ob man Bismarck zu den Genies vom ersten Range wie Napoleon und Cromwell rechnen dürfe. Von jener Universalität der Begabung, wie sie

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