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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Amme. Ob wir heftig
    Anklagen uns und rasch geschäftig
    Vorhalten unserm Geist die Gründe,
    Warum ja reizlos jede Sünde –
    Hilft nichts! Wer je sich gab Consenz
    Zur Sünde, fühlt die Consequenz:
    Gewohnheit wird sie. Es verschwören
    Sich Leib und Seele und empören
    Sich gegen jedes Reformiren –
    Wie Du begonnen, mußt Du's weiter führen.
     
    Köstlich ist die Tugendentrüstung
    Und pharisäische Selbstbrüstung,
    Mit der wir auf Andrer Sünden schauen
    Voll tiefem Ekel und staunendem Grauen,
    Weil wir ihr Laster nicht können verstehen
    Und nicht den geringsten Reiz drin sehen,
    Vielmehr nur den Ekel davor begreifen.
    Wie kann doch A. so weit ausschweifen,
    Mit Demimonde sich abzugeben,
    Während doch manche Ladies eben
    So gerne sich verführen lassen!
    »Wie?« spricht B. »Ich sollt' mich befassen
    Mit solchem Gräul? Ich halte Hetären,
    (Nun, als ob Andre Heilige wären!)
    Doch Ehefrauen verführen, entsetzlich!
    Auch find' ich's gar nicht sehr ergötzlich.«
    Denn Jeder zurück vor der Sünde schreckt,
    Welche ihm nämlich selbst nicht schmeckt.
    Es giebt in Sünde nicht Maß und Grad,
    Es giebt nur einen bestimmten Pfad.
    Und wer »natürlich« gesündigt hat,
    Wird vom Genusse genau so satt,
    Wie von der »unnatürlichsten« Sünde.
    Alle die pharisäischen Gründe,
    Warum eins besser, das andre schlimmer,
    Gelten vor'm Auge der Wahrheit nimmer.
     
    Ans Meer der Freiheit drangen wir verschmachtend,
    Mit glühnden Adern stürzten wir hinein,
    Der Vorsicht ernste Mahnung nicht beachtend.
    Wir tranken bittres Salz, als wär' es Wein,
    Erkrankten und ertranken. Tyrannei
    Jedoch gefoltert wird vom Einerlei
    Des ewigen Durstes, des unstillbaren,
    Des nur vermehrten, wenn erfüllbaren,
    Nach Opferblut. Am Quell der reinsten Fluth
    Verschmachtet sie, lechzt und erstickt an Blut.
     
    Eis oder Wasser heißt der Unterschied,
    Den zwischen Bösem man und Gutem sieht.
     
    Ich singe die Sonne am Himmelszelt
    Und den Wurm, den sie bescheint,
    Und was nur blinkt, stinkt, greint und weint
    Die ganze Welt.
     
    Die Lerche steigt übers Korn hinan
    Als Ode . Die Schnittermagd,
    Sehnsucht-geplagt, an der Sense nagt –
    Das ist ein Roman.
     
    Der Greis, der über Jugendthorheit klagt,
    Heimlich der eignen schwachen Weisheit flucht ...
    Zeigt mir die Venus, die der Welt entsagt,
    Und den Apoll, der nur die Sonne sucht!
     
    »Ruhm ist Luft«. Doch wer kann leben
    Ohne Luft?
    Dumpf erstickt das reinste Streben
    In lebendiger Gruft.
     
    Bedenk' ichs recht, so scheint mir in Tibet
    Die beste Herrschaft. Dalai-Lamawesen,
    Was ist's am End', wenn Ihr's bei Licht beseht?
    Die Herrschaft des Genies. Dort wird erlesen
    Ein Kind, vom Hauch des Ewigen umweht,
    Und was es spricht, macht man zu Glaubens-Thesen.
    Nicht Schönheit, Reichthum, Macht und Rang erliest man:
    Den Weisesten zum Erdengott erkiest man.
     
    Ja, der Kulturmensch kreuzigt das Genie,
    Wofern er's nicht zum Aschenbrödel macht.
    Am Himalaya beugt man ihm das Knie,
    Nimmt seine Worte als Gesetz in Acht.
    Denn Gottesoffenbarung fühlen sie
    In seiner Art: Der Allgeist sichtbar wacht
    Auf seiner Stirn, der in der Schöpfung waltet,
    Doch sichtbar schon als Genius hier schaltet.
     
    Warum nicht Größenwahnsinn? Jeder Wicht
    An gleicher Krankheit leidet und er ist
    Grad so auf seiner Kleinheit Werth erpicht.
    Nur daß man ihm zu zürnen stets vergißt,
    Weil er nur lächerlich. Die Rotte flicht
    Die Dornenkrone immer ihrem Christ,
    Spricht er: »Ich bin Messias«, weil ihr Neid
    Zu Haß wird aus verletzter Eitelkeit .
     
    Ich soll mich angestammten Narren bücken
    Und nicht dem Dalai-Lama? Nimmermehr!
    Ich will den Fuß ihm küssen mit Entzücken.
    (Ja, wenn es noch des Papsts Pantoffel wär',
    Das würde manchen Pilger hoch beglücken!
    Kein Unterschied! Unfehlbar ist auch der!)
    Nach Tibet will ich wandern: Jesuiten
    Und stehende Heere sind dort nicht gelitten.
     
    Nur Eins mißfällt mir an den dortigen Sitten,
    Ein Ding, man nennt's gelehrt: Polyandrie.
    Dort weilt in eines Männerharems Mitten
    Die zücht'ge Hausfrau. Denn heirathet sie,
    So nahn dem Altar auch mit raschen Schritten
    Des Bräutigams Brüder alle. Einer nie
    Die Hochzeit mit ihr feiern darf, o nein,
    Sein ganz Geschlecht nennt seine Dame sein.
     
    Nun bin ich festiglich zwar überzeugt,
    Daß jede Dame, die davon vernimmt,
    Erklärt, daß dies von Sittenrohheit zeugt
    Und »Pfui!« »Abscheulich!« »Shoking!« ruft ergrimmt.
    Doch Manche heimlich seufzend auch vielleicht
    Für

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