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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Träume manchmal labend,
    Neulich hab' ich zu stark geträumt.
    Vor Monden habe ich verloren
    Ein Zwanzigmarkstück – das ist stark!
    Und gestern – wär' ich nie geboren! –
    Gab ich als Trinkgeld eine Mark.
    Dann hab' ich neulich aus Versehen
    Mir auch ein Barthaar ausgezupft:
    Welch nie zu sühnendes Vergehen!
    Ein Stück der Mannheit ausgerupft!
    Und neulich aß ich saure Gurken,
    Dann Stachelbeeren und dann Bier!
    Ich schimpfe selbst mich einen Schurken –
    Das heißt ja schlingen wie ein Thier!
    Neulich trug ich zu hohe Hacken,
    Doch dann, als mich Clotilde sah,
    Reicht' ich ihr kaum bis an den Nacken,
    Denn hackenlose hatt' ich da!
    Das Halstuch knüpft' ich zwölf Minuten
    Mir heut, ein Danaidenloch!
    Denn der Effekt, wie zu vermuthen,
    Blieb immer ja derselbe noch!
    Frisirte eine Stunde tüchtig
    Und war so weit, als wie vorher,
    Als hätt' ich nur gebürstet flüchtig.
    Heut drückt mich der Cylinder schwer.
    Und morgen, wo ich ihn gebrauchte,
    Setz' ich statt dessen auf den Filz.
    War's kalt, in Eisfluth ich mich tauchte –
    Heiß, kroch ich unter wie ein Pilz.
    War's kalt, ging ich in Sommerjacke –
    Heiß, trug ich Winterüberzieh'r!
    Rasirt' ich, blutete die Backe –
    Es ist um tollzuwerden schier!
    O dieses teuflische Erinnern
    Zernörgelt mir die Lebenslust!
    Wann, Leichtsinn, nahst Du meinem Innern?
    Wann wird mir endlich »unbewußt?«
     
    Ich las eine erste Correctur,
    Da fand ich einen Fehler nur.
    Doch als ich die zweite und dritte las,
    Da sah ich, daß ich noch drei vergaß.
    Und als ich den Reindruck vor mir sah,
    In Ohnmacht fiel ich nun beinah:
    Sechs grobe Fehler standen da!
    Das ist der Mensch! So lang es nützt,
    Ihn weder Fleiß noch Vorsicht schützt.
    Schönglatt ist Alles beim ersten Blick,
    Doch zeigt ihm der nächste Augenblick
    Die Flecken, wenn es halb zu spät,
    Die größten aber er übergeht!
    Erst wenn sie unwiderruflich geschehn,
    Wir alle Sünden und Mängel sehn.
    Und auf den Aerger folgt die Reu',
    Fruchtlos stets, doch immer neu.
     
    Der Mensch ist ein geborner Thor
    Und stets die Weisheit er verschwor.
    Wenn Jemand sich gar weise glaubt,
    Weil weder Ruhm- noch Geldgier raubt
    Ihm seinen Appetit und Schlaf
    Und seinen ehernen Busen traf
    Nicht falscher Minne giftiger Pfeil
    Und wenn er sonst gesund und heil
    Und ihm kein Kummer ward zu Theil –
    So ärgert er sich mit Fug und Recht,
    Daß einmal aufgepaßt er schlecht
    Und lückenhaft seine Correctur!
    Denn Gram und Aerger ist uns Natur.
    Los wird ihn der Blasirte nur.
    Dem fehlt zwar Aerger, doch auch Vergnügen –
    Ist das der Weisheit Selbstgenügen?
     
    Inconsequenz ist menschlich. Hört den Einen:
    Das Leben ist, damit wir es beweinen.
    So tief in Sünde ist der Mensch verstrickt,
    Daß Heil und Hoffnung nirgends er erblickt.
    »Wohlan! So möchtest Du recht baldigst sterben?«
    Er ruft entsetzt: »Um Gotteswillen, nein!
    Ich mochte gerne siebzig Jahr erwerben
    Und sollten sie auch eitel Sorge sein.«
    »Welch Widerspruch!« so ruft man ungeduldig.
    Dann murmelt er Etwas von der Mission,
    Die wir auf Erden ja erfüllen schon,
    Von zehn Geboten, kurz, bleibt Antwort schuldig.
    Ein Andrer meint, daß allerliebst die Erde,
    Daß reizvoll selbst Gefährde und Beschwerde
    Und daß die liebe Sünde uns gegeben,
    Damit das Dasein recht entzückend werde.
    »So möchtest Du denn also ewig leben?«
    »Um Gotteswillen, nein! Welch ein Gedanke!
    Eh ich am Stab des Greisenalters wanke,
    Eh weiß ich nicht, was ich mir selber thue!
    Je kürzer, desto besser! Ruhe, Ruhe!«
    Nun, alles Dies ist nur ein Widerspruch.
    Entweder ist das Leben nur ein Fluch,
    Die Welt ein Jammerthal, und drum beweint
    Den Säugling, wünscht »lang Leben« eurem Feind.
    Oder Ihr meint, dies sei die beste Welt
    Und für Genüsse ein ergiebiges Feld,
    Und haßt als einziges Uebel drum den Tod
    Und laßt Euch schmecken Euer täglich Brod,
    Und dann mit allen Kräften dahin strebt,
    Daß möglichst lange Ihr genießt und lebt.
    Entweder Ihr seid Thoren – so seid's ganz!
    Euch dünke jeder Flitter echter Glanz!
    Scharrt Gold zusammen, grübelt voll Erbauung
    Ob der Methode richtiger Verdauung,
    Hascht nur nach äußrem Schein und hohlen Ehren,
    Laßt Pflichten Euch das Leben nicht beschweren,
    Gedanke und Gefühl sei Euer Spott,
    Eßt Hummersauce und verehret Gott!
    Oder Ihr kamt zur bitteren Erkenntniß,
    Daß alle Ideale hohl und schaal
    Und daß der Tod des Lebens beste Wahl –
    Dann scheut auch nicht das offene Bekenntniß!
    Ja

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