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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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kleinsten Störungen desselben.
    So giebt es Schriftsteller, die von ihren Druckfehlern selbst in der Erinnerung noch gefoltert werden. Nun ist ein Druckfehler ja ein häßlich Ding. Aber es steht fest daß man selbst die auffälligsten Druckfehler als bloßer Leser übersieht, weil man mehr erräth als liest. Auch bringt es die sonstige Gleichgültigkeit des Lesers mit sich, daß er einen Druckfehler nie tragisch und als Störung empfindet, während der Autor seinen reinlichen Stil unauslöschlich schimpfirt glaubt.
    Der Corrector hat ein wichtiges Amt, dessen er sich kaum bewußt. Seine Nachlässigkeit kann einen Autor unglücklich machen. Was hilft's, wenn eine Autoren-Correctur mangelhaft ausgeführt, hinterher darüber zu jammern! Geschehn ist geschehn, und der Flecken bleibt für ewige Zeiten haften, über dem ein Autor verzweifelnd brüten mag, da ihn ein durch Corrector-Nachlässigkeit ruinirter Satz ewig wie ein Vorwurf drückt. Man pflegt zu trösten: Jeder sehe ja, daß dies ein Druckfehler sei! Welch' ein Irrthum! Das Publikum liest so blind und dumm, daß es dergleichen Fehler wirklich für baare Münze nimmt und sich den Kopf über den Sinn derselben zerbricht.
    Dieses Kleben am Kleinlichen tritt als natürliche Reaction ein bei Größen, die sonst nur zu sehr ins Große und Weite schauen. So rächt sich die Alltäglichkeit des Außenlebens am Ungewöhnlichen.
    Unter solcher Reaction litt eben Leonhart's Ueberarbeitung.
    Immer aufs neue zogen ihn allerlei Erbärmlichkeiten ab. Seine ganze poetische Stimmung ging zum Teufel. Schadenfroh wußte man ihn überall bei fremden Fehden zu verwerthen. Vorsicht, Vorsicht mangelte ihm ewig. Stets ließ er sich zu tief in jede persönliche Zwistigkeit ein und die alberne Furcht vor der Verleumdung der Welt fraß sich immer tiefer. Doch hatte er so Unrecht? Kann nicht aus jeder Mücke ein Elephant werden, denn man aufbläht, um die Laufbahn eines genialen Menschen zu hemmen? Ein unbedacht entfallenes Wort wird zum Verbrechen. Man verliest einseitig Briefe und Urtheile über einen Abwesenden, der sich nicht wehren kann. Ewig verleitete ihn seine Gutmüthigkeit, für andre Leute zu eifrig Partei zu nehmen, als wäre dies seine eigene Sache. Er bedachte nicht, daß die Welt überhaupt nicht an selbstloses Wohlwollen glaubt und Allem unlautere Motive unterschiebt. Seine krankhaft argwöhnische Seele die ängstlich hinterm Rücken Ohren trug, um auf das Geflüster der Menschen zu horchen, setzte immer das Uebelste voraus. Dann aber wuchs auch andererseits sein kühner Muth und er sah Allem fest ins Auge. Was konnte man ihm anhaben, ihm, der über Alles erhaben.
    Er fühlte sich rein, er durfte es, so weit er von Pharisäismus. entfernt und so oft er an seine Brust schlug: Gott sei mir Sünder gnädig! Denn Viele hielten ihn für edler als er war, Jeder beanspruchte Hülfe von ihm, und raisonnirte, wenn er sie nicht erhielt. Wer aber hatte ihm denn geholfen, wo sein Leben doch so viel wichtiger? Nichts komischer, als die überspannten Anforderungen an die Menschen höherer Art, da man doch die Herzensroheit der sonstigen Gesellschaft kennt. Den riesenhaften Egoismus eines Napoleon zugestanden stellt ein Vernünftiger stets die Frage, ob die Mehrzahl, der Menschen nicht in ihrer winzigen Weise genau den gleichen Grad von Egoismus verkörpere – ohne die Entschuldigung des Genies dafür beanspruchen zu können. Nichts aber bereitet dem kleinen Philistergeiste so innigen Genuß, als die Schwächen und Mängel der Größe zu erspähen. So wird denn ein unmöglicher Maßstab sittlicher Vollkommenheit angelegt. Man will nicht begreifen, daß auch der größte Mensch nur eben ein – Mensch bleibt und sich der Nothdurft menschlicher Schwäche nicht entziehen kann. Man fragt erstaunt, selbst wenn man vorurtheilslos den sonst edlen Grundstoff einer genialen Natur würdigt, wie es denn möglich, so viel Niedrigkeit mit so viel Größe zu vereinen. Und doch liegt es in der Artung der Ausnahmenaturen, daß sie alle menschlichen Seiten in sich vereinen. Selbstlose Begeisterung paart sich kalter Berechnung, ideale Reinheit schmutziger Sinnengier.
    Verzweifelnd an seinem eingeschnürten Leben, suchte Leonhart seine einzige Rettung und Erhebung in der Betrachtung einer edleren Vorzeit. Aus der erstickenden Wirrniß der zwerghaften Kleinigkeitskrämer flüchtete er in den Verkehr mit Geistern vergangener Tage. Seine düstere mystische Gluth entflammte sich an der thatkräftigen Askese

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