Größenwahn
er mächtig darauf los. Sein breiter urgesunder Brustkasten bildete gleichsam den dröhnenden Resonnanzboden seiner sittlichen Ueberzeugung, daß Er als der Erkorene allein den Weg zum Herzen seines Volkes gefunden habe. Um dies Bewußtsein ja nicht einschlafen zu lassen, erließ er von Zeit zu Zeit dröhnende Ukase, worin er Gott und den Menschen sein Leid klagte, er werde lange noch nicht genug bewundert.
»Ja,« rief er mit edlem Freimuth, indem seine große Pickelwarze vor Begeisterung ordentlich karfunkelte, »ja, Herr von Lämmerschreyer, schon als mein Standesgenosse, als Royalist, sind Sie verpflichtet, für mich zu wirken. Ich bin das patriotische Element der deutschen Dichtung. Ich wirke auf mein Volk, ich liebe mein Volk und mein Volk liebt mich. Sehn Sie, für mich besteht heutzutage die ganze Bedeutung eines Dichters in seiner praktischen Einwirkung auf sein Publikum. Hundert Aufführungen hintereinander im ›Neustädtischen Volkstheater‹ – he, was soll's? Laß doch dumme Neidlinge wie Leonhart faseln, Ich sei bloß Theatraliker – ihre respeklosen Ausfälle werden Mir keinen Mann meines Publikums rauben. Mein Volk steht zu Mir, seinem erwählten Dichter.« Er malte jetzt in wenigen Strichen, die den Meister nicht verleugneten, sein neuestes Opus »Gorm der Alte« dem andächtig Lauschenden vor. Gorm der Junge heirathet darin, nachdem er zwei Bräute erdolcht, seine Tante. »Also Sie bringen wohl darüber eine ganz kleine Notiz, etwa dreißig Zeilen oder so, nicht wahr? Ich verlasse mich darauf. Adieu, mein lieber Herr von Lämmerschreyer, adieu. Sie sind ein verehrtes Mitglied jener patriotisch-royalistischen Jugend, die ich begrüße.« Damit schüttelte er dem jugendlichen Redakteur biderb die Hand aus dem Gelenk, indem er jedoch zugleich den Oberkörper würde-kollernd drei Schritt vom Leibe zurückwarf – und stürmte weiter, um seine durchsichtigen Reklamezwecke mit Wasser zu kochen. Wer wollte ihm das verübeln!
Gewiß nicht der Onkel des jungen Lämmerschreyer's, der große Malermeister Adolf von Werther, der seinen Neffen mit manch gutem Rathschlag empfing, als Dieser ihm seine Aufwartung machte.
»Jaja, mein Lieber, mit die Kunst is das Allens ja janz nett, aber so'n bisken Mumpitz muß mit dabei sein. So sage ick immer zu meine Schüler auf die Akademie: Kinder, lernt auf die Guitarre (sprich ›Juhitarre‹) spielen! Damit habe ick viel gemacht. Ein gutes Bild malen is ja janz nett, aber das Bild doch verkoofen – des is noch besser. Und das jeht nur mit Mumpitz, nie ohne dieses! Carrière machen – darin liegt die wahre Musike. Nich wer am besten malt, jewinnt – sondern wer am besten schwatzen und kneipen thut.«
Lämmerschreyer beeilte sich zu versichern, daß er Violoncell spiele.
»Siehst de wie de bist! Violoncell is jut. Damit kannst Du den Damens imponiren un des is die Hauptsache. Komm Du nur mang meine jroßen Abfütterungsjesellschaften – da wirst Du Dein blaues Wunder erleben. Mach' Du man zuerst eine reiche Parthie – das Uebrige findet sich.«
Und es fand sich ja bald. Kaum angelangt und schon einflußreiche Autorität, Feuilletonredakteur der »Berliner Tagesstimme« – man sieht, das wahre Talent bricht sich doch immer Bahn.
Die Hauptsache bleibt immer, daß man von Adel sei. Denn in China, dem Reich der Mitte, wo das Pulver und die Buchdruckerkunst erfunden, gelten nur die Mandarinen vom blauen Knopfe etwas.
Als Lämmerschreyer im »Café Liedrian« an jenem Abend seinen früheren Protektor mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßte, stürzte dieser eiligst ein Glas Cognac hinunter und empfahl sich, vom Gekicher Frau Meyer's begleitet. –
Er hatte zu drei Krügen Bier eine große Portion Sülze gegessen. Dies, verbunden mit der Kälte und dem Ostwind der Nacht, wirkte offenbar auf seine Eingeweide. Denn er erwachte mit einem so brennenden Durst, daß er mit nackten Füßen aus dem Bette sprang und die Wasserkaraffe auf dem Toilettetisch halb ausschlürfte. Auch dies sänftigte jedoch nicht die Unordnung seiner Nerven. Denn er wurde von den peinlichsten Träumen heimgesucht. Am vorigen Abend war er in dem Moment auf einen Pferdebahnwagen gesprungen, von links statt von rechts, wo ein andrer im vollen Lauf vorüberschoß. Dabei wäre er fast ausgeglitten. Er malte sich nun in der schweigenden Nacht, während der Sturm um die Dächer pfiff, lebendig aus, wie er so leicht unter die Räder und Pferdehufen hätte gerathen können – ebenso wie er oft an
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