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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Weiber zu schildern ist fast unmöglich. Physische Laster scheinen im Buch lange nicht so schlimm wie psychische Niedrigkeit. Den Begriff eines Mordes oder den Begriff einer Dirne können wir uns bei bloßer Lectüre kaum vergegenwärtigen. Aber dafür erhalten wir im Buche einen viel stärkeren Begriff von der landesüblichen Seelenverderbniß und Verlogenheit, welche wir sonst im Leben täglich gelassen hinnehmen. Uebrigens macht alles Geschriebene vor einer letzten Grenze Halt und bleibt daher nur halbwahr.«
    »Sagt eure triftigen Gründe, Junker Bleichenwang!«
    »Gründe wie Brombeeren!« lachte er schlagfertig. »Das Höchste und das Schrecklichste kann man nur fühlen, nicht denken, noch weniger aussprechen. Wie beschränkt ist überhaupt unser Anschauungsvermögen! Daher die Unmöglichkeit, eine ferne Zeit naturgetreu nachzuempfinden. Darin war die naive Renaissance uns voraus, die das instinktiv fühlte und sich wenig Skrupel machte, wenn sie Pharao's Tochter einfach als irgend eine Herzogin von Ferrara mit ihrer Hellebardier-Garde und die Hochzeit zu Cana als das Gastmahl irgend eines Loredano oder Contarini malte.«
    Da die Brunhilde spürte, daß sie auf diese Weise nie Oberwasser für ihre geplante Mentorrolle gewinnen könne, wenn man bei allgemeinen Gegenständen blieb, so lenkte sie das Gespräch auf Leonhart's krankhafte Reizbarkeit und Empfindlichkeit. Die solle er sich endlich abgewöhnen. Sie selbst lache nur über die Verleumdung der Welt. (Diese schien ihr allerdings gut anzuschlagen, wie ihr elegant geschnürtes Embompoint bewies.)
    »Jeder Aerger über die Welt zeigt doch nur Kleinlichkeit.«
    »Hm, seltsam genug, daß des Weltgebieters Napoleon ganzer Hofstaat vor dem Tage zitterte, wo er die englischen Blätter erhielt. Dann gerieth der Empereur in unzurechnungsfähige Wuth. Und Bismarck, der jeden schimpfenden Rotzbuben in Posemuckel gerichtlich belangt und durch seine Bismarck-Beleidigungs-Anträge seine Größe herabwürdigt? Allerdings, einen vornehmen Mann hat es gegeben, der die Leute lächelnd schimpfen ließ: Friedrich – der aber darum mit Recht auch ›der Einzige ‹ heißt.«
    »Jaja, der hatte eben ein reines Gewissen.«
    »Oder er war ein zu großer Menschenverächter und Skeptiker, hatte auch ein kühles Naturell und die natürliche Vornehmheit eines Purpurgeborenen. Uebrigens warf auch er der Maria Theresia heftig ihre Wiener Schmähschriften vor. – Doch haben Sie Recht: Das Toben auf die Welt und das ewige Geärgertsein zeigt ein schlechtes Gewissen, mindestens einen krankhaften Gemüthszustand. Allein, wessen Gewissen ist denn rein, wessen Gemüth ist gesund? Es ist eine Schande feig zu sein. Und doch habe ich Wenige getroffen, die sich nicht vor der Verleumdung schwer gefürchtet hätten, die nicht danach ängstlich umgespäht hätten, was die Leute sagen. Geradezu komisch wird dies, sobald es sich um sinnliche Ausschreitungen handelt.«
    »Ja, sinnliche Ausschreitungen – da wird am meisten geheuchelt! Sagen Sie mal, finden Sie es nicht eigentlich unverschämt, daß die Welt sich über dergleichen ein Urtheil erlaubt? Mischt sich doch in gewissen Fällen sogar die hohe Obrigkeit des Gesetzes ein!«
    »Ah, doch nur, wenn öffentliches Aergerniß gegeben wird und die betreffende Ausschreitung einer andern Person zum Schaden gereicht.«
    »Allerdings, im Ganzen wohl. Doch giebt es ja Fälle, wo der Staat sich einmischt, ohne daß – – Sehn Sie z.B.,« sie sah ihn keck an und warf herausfordernd den Kopf in den Nacken. »Da soll es unter Frauen z.B. die Lesbische Liebe geben. Ich habe mir das erklären lassen. Hat wohl das Gesetz irgend ein Recht, sich in solche Dinge hineinzumischen?«
    »O ja!« erwiderte Leonhart trocken. Er erinnerte sich, daß man von der Dame behauptete, sie habe zwei junge Mädchen auf diese Weise zu Grunde gerichtet. »Das kann auch Andere schädigen. Natürlich ändern sich die Sittengesetze. In der alten Welt war das erlaubt. Siehe Sappho!«
    »Ach ja, die soll ja auf Lesbos geboren sein!« Die Augen Aureliens funkelten in einem eigenthümlichen feuchten Glanze.
    Leonhart hatte genug. Er erhob sich plötzlich und bedauerte unendlich, nicht länger dem Genuß ihrer Unterhaltung fröhnen zu können. Sein Arbeitstisch rufe ihn. Mit einigen oberflächlich galanten Redensarten setzte er sie an die Luft und fand ebenfalls Ausflüchte, als sie mit nochmaligem Besuche drohte. Ein Zucken um ihre sinnlichen Lippen bewies ihm, daß die Brunhilde ihn

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