Größenwahn
also, der soll einen Wechsel unterschreiben, sagen wir mal: als Künstler für noch unbezahlte Leinwand oder Rahmen oder Farbentüben. Der Kaufmann aber, dem der Jüngling nicht ganz sicher scheint, gängelt ihn so beiläufig dahin, ob er nicht den Wechsel lieber im Namen seines Vaters oder Onkels oder Vormunds, bei dem er wohnt und dessen Erbe er ist, unterschreiben wolle.«
»Oho!« Der Rechtsanwalt spitzte die Ohren.
»Und der Jüngling in seiner Einfalt, begierig die Farben oder die Leinwand für sein Schaffen zu erhalten, da er zudem weiß, daß der Wechsel von dem Unterschriebenen honorirt werden wird, setzt arglos den Namen seines Vaters oder Onkels oder Vormunds darunter. Was sagen Sie dazu?«
»Hm,« Knaller wiegte nachdenklich sein Denkerhaupt. »Grobe Wechsel- und Urkundenfälschung. Zuchthaus ist das mindeste, was –«
»So und was bekommt der Händler, der ihn dazu verleitete, auf die Unwissenheit des Andern bauend?«
»Hm, so 'was ist schwer zu beweisen. Das Jus hält sich an Thatsachen.«
»Aha! Und wenn nun der Wechsel wirklich honorirt wird und sich herausstellt, daß der rechtsunkundige Urkundenfälscher im Grunde genommen nur
pro cura
geschrieben, etwa wie ein Redactionssecretär oder Verlagsprokurist sich als Redacteur oder Verleger unterzeichnet, falls er in deren Auftrage schreibt?«
»Bleibt ganz egal. Ein Wechsel ist kein Brief. Bekommt der Staatsanwalt das Dokument zu Händen, so geht die Klage von Rechtswegen ihren Gang und der harmlose Jüngling wird im Zuchthaus lernen müssen, daß ein deutscher Reichsbürger die Gesetze seines Landes zu kennen habe.« Knaller stand in majestätischer Pose da das eine Bein wie ein Ballettänzer vorgestreckt, unwillkührlich die Hand in der Brusttasche), als wolle er gerade eine Arie singen. Leonhart lachte laut und anhaltend auf.
»Dacht ich's doch! Ich habe dies Beispiel, das mir gerade durch den Kopf schoß, gut gewählt. Ich sag's ja: Was ist Wahrheit, fragt die Welt mit Pontius Pilatus. Buchstaben und Geist befehden sich in uraltem Kampf. Sie haben mich gar nicht verstanden, wie's scheint, wir wollen uns also nicht ereifern über ein Phantom. Der juristische Größenwahn , der für alle Fälle eine Formel im Futteral trägt und sich im Besitz der höchsten Weisheit wähnt, gleicht dem theologischen Größenwahn an Dummheit und dem Mediciner-Größenwahn an eingebildeter Selbstsucht – er disputirt über den ›schönen Fall‹ und doktert das kostbare Leben darüber zu Tode.«
»Erlauben Sie, mein Herr..«
»Jawohl, stellen Sie den Antrag auf Beleidigung der juristischen Fakultät! Ich selbst pfeife auf eine Rechtspflege, die z.B. noch nicht einmal die Entschädigung unschuldig Verurtheilter kennt. Recht! Wenn Allen geschähe nach Recht, wer wäre vor Schlägen sicher! Gott, der die Nieren prüft, urtheilt sicher gar verschieden und stellt manchen Mörder noch über seinen correcten Richter. Das Recht, das von den ewigen Sternen niederflammt – – Doch genug. Auf Wiedersehn, Herr Rechtsanwalt! Ich appellire bis ins Aschgraue – daß Sie's nur wissen! Also bitte bald den Termin zu betreiben!«
Als Isidor Knaller die Treppe hinabstieg, tippte er mit zwei Fingern gegen die Stirn, nachdem er den Kneifer abgenommen, sich die Augen gerieben und die Nase geschneuzt hatte: »Ein merkwürdiger Fall! Muß doch mit Sanitätsrath Niemeyer reden. Hochgradiger Größenwahn auf der Basis nervöser Zerrüttung.«
VI.
»Ach, erzählen Sie mir doch, hochverehrter Herr Graf!« Dondershausen stellte Krastinik auf dem Dönhofsplatz. »Wie ich höre, ist Ihr Freund, der Maler Rother, in Norwegen auf mysteriöse Weise umgekommen. Steht heute in der Zeitung. Er soll ja an Sie und den Genremaler Knorrer noch vor seinem Tod geschrieben haben.«
»Ja, aus Hönevoß. Einen ganz heitern Brief.«
»Ganz recht. Und ob ein Unglück oder ein Selbstmord vorliege, ist nicht ersichtlich. Er hat die Flasche mit Carbolsäure vielleicht schlaftrunken aus Versehen statt der Wasserkaraffe geleert – gräßlicher scheußlicher Tod! Aber wie, wenn bewußte Absicht –?«
Krastinik zuckte die Achseln und sah finster vor sich nieder.
»Ich weiß von nichts.«
»Hm, mir schien der Mensch immer krankhaft. O unsre Zeit! Alles Folge der schlechten Erziehung«
»Und was wäre denn eine gute Erziehung?«
»Die einzig gediegene Methode der Pädagogik ist die meines Kastellans daheim auf Schloß Dondershausen!« entschied der Oberst hochtrabend. »Dieser versammelt
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