Größenwahn
seine Buben jeden Sonntag Morgen, in der einen Hand eine Ruthe, in der andern eine Rhabarberflasche. ›Fehlt euch was?‹ ›Nein, Vater.‹ ›So? Man kann nicht wissen, wofür's gut ist. Da trinkt mal eins!‹ Sie schlucken pflichtschuldigst. ›Zeigt mal eure Schulbücher!‹ Nun findet er entweder Fehler und haut sie oder findet keine und haut dann der Aufmunterung wegen. So docirt er jeden Sonntag die Bitterkeit des Daseins mit Rhabarber und Haue! – Jaja, heut giebt's zu wenig Hiebe, daher schmeckt den Muttersöhnchen auch Mandelmilch wie Rhabarber.«
Krastinik biß die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Wie gesagt, Rothers Brief an mich ließ keinerlei Mißstimmung spüren. Ich schrieb an seinen Intimus Knorrer (ich kenne ihn ja nur kurze Zeit), ob der vielleicht wisse – erhielt aber eine flüchtige kühle Antwort. Es machte auf mich den Eindruck, als ob Dem das Unglück nicht sehr nahe gegangen sei. Mein Gott, der Mann soll so viel mit seinen eignen Liebesgeschichten zu thun haben!«
Man wähnt, daß die leichtsinnigen Tom Jones immer die Gutmüthigkeit gepachtet hätten – mit Unrecht. Joviale Genüßlinge, denen ihr Vergnügen über alles geht, sind innerlich kalt. Krastinik mochte wohl richtig gerathen haben.
»Jaja,« Dondershausen gähnte, »unsre jungen Leute haben keine Lebenskraft. Glauben Sie mir, mein theurer Graf, Ihr Freund Leonhart nimmt auch noch ein übles Ende.«.
»Meinen Sie?«
»Ach ja, der Umgang mit ihm schadet Ihnen, glauben Sie mir«. Er vergaß im Augenblick, daß er gerade eine Stunde vorher an Leonhart das briefliche Ansuchen gestellt, doch ja in die Presse zu bringen, daß unser verdienter patriotischer Dichter Gebhart Lebrecht v. Dondershausen wieder mal einen Orden mit Schwertern und Eichenlaub durch erhabene fürstliche Huld empfangen habe. »Nun, was machen die Proben zu Ihrem Drama, Theuerster?«
»Es geht flott,« erwiderte Jener kurzab und empfahl sich nach flüchtigem Gruße. – Auf ihn hatte die seltsame Todesnachricht aus Norwegen doch einen tiefen Eindruck gemacht. Sollte der Unglückliche wirklich seiner wahnsinnigen allverschlingenden Leidenschaft zum Opfer gefallen sein? Und sollte irgendwie die bewußte Geschichte damit zu thun haben? Aber in Norwegen – kaum denkbar. Nun, was kümmerte Das ihn!
Auch aus England war betrübende Kunde zu ihm gelangt.
Dorrington's Gesundheitszustand schien wenig erfreulich.
Ob er seinen jungen Freund wohl noch wiedersehn werde? fragte er in seinem letzten Schreiben.
Da er bei Siechen vorüberkam, trat Krastinik ein, um in aller Eile einen Schoppen zu leeren. Zu seiner Verwunderung traf er Leonhart, der soeben die »Kreuz und Schwertzeitung« las. »Lesen Sie!« Damit reichte er dem Freunde das Junkerblatt, welches bekanntlich im Verleumden erbliche Traditionen pflegt.
»Es ist ein Unglück für ein jugendliches Talent, ohne den Ernst des Lebens und Strebens kennen gelernt zu haben, mit berufslosem Behagen sich dem sogenannten Dichter-Beruf zu widmen. Die schauernde Bewunderung aller mit-jugendlichen Zeitgenossen begleitet ihn und einige Jahre lang wird das Publikum fragen: ›Was, noch so jung und schon solch ein Hause von Büchern!‹ Noch länger wird es heißen: ›Für sein Alter sehr hübsch‹, bis man allmählich anfängt nachzurechnen, wie alt das junge Talent jetzt ist. Es überschleicht jeden Vernünftigen eine Wehmuth angesichts des Lebensganges solcher Wunderkinder. Wer sieht es später der armen leeren Hülse dort im Staube an, daß sie einst ihre Karrière als Rackete begann? Solche Empfindungen beschleichen uns angesichts des neuen Romans von F. Leonhart . Ganz so schlimm ist es zum Glück mit unserm jungen Autor nicht. Die erste Jugend hat er hinter sich, aber es droht ihm auch eine große Gefahr. In seiner überreizten Fruchtbarkeit liegt ein Mangel an echter Produktivität. Friedrich Leonhart hat ganz entschiedenes Talent, doch seiner frühreifen Leistungsfähigkeit sind zwei Eigenschaften beigesellt, welche die Entwickelungskraft im Keime zerstören. Jeder Dichter sollte sich Schleiermachers schönes stolzes Wort zu eigen machen: ›Ich gelobe mir ewige Jugend‹. Unvereinbar mit der Jugend des Herzens sind aber: Unbescheidenheit und Blasirtheit ! Sehr oft findet sich Größenwahn mit einer liebenswürdigen und rührenden Kindlichkeit verbunden. Wo aber die Augen so scharf für menschliche Schwäche und Gemeinheit sind, wo die Verachtung der andern so erfahrungsmäßig und treffend
Weitere Kostenlose Bücher