Größenwahn
begründet wird, da fehlt doch die Hauptbedingung der Jugend: Der Glaube an Ideale . Mit der Begeisterungsfähigkeit schwindet die gesunde lebenerweckende Kraft und der Jüngling wird zum Greise, ohne Mann gewesen zu sein. Das Maß ist voll, übervoll seiner maßlosen Selbstüberhebung. Schade um das schöne Leben! Was sind das für Züge seniler Blasirtheit und Frivolität! Möchte der junge Dichter doch unsere Wünsche berücksichtigen, die aus einem ernsten Wohlwollen entspringen: Hüte er sich vor seinen Freunden und lerne er von seinen Gegnern! A.v.F.«
Leonhart wand sich in Lachkrämpfen. ›Seht ihr es nicht, das hirnverbrannte Weib?‹ citirte er aus Kleist. »A.v.F.! Aurelie v. Fellmarch! ›Hüte er sich vor seinen Freunden‹ – diese Mahnung aus diesem Munde! Pfui Deibel!« Er spie aus.
»Sollte man nicht eine solche Frechheit sofort festnageln?« rief Krastinik zornglühend. »Ich an Ihrer Stelle –«
»Pah, pah, ruhig und fein still darüber! Gleich kommen Holbach, Luckner und sogar der großmächtige Wurmb, die mich mal wiedersehn möchten. Wahrscheinlich wollen sie mich wegen irgendwas aushorchen.«
»Da geh ich um so schneller. Hab' ohnehin keine Zeit. Muß ins ›Deutsche Theater‹, um mit Friedmann und Förster zu reden – die Herrn machten heute in der Probe einen Fehler in ihren Rollen. Auch mit Fräulein Sorma klappt es nicht recht.«
»Na, die ist wohl verdammt liebenswürdig gegen Sie, he?«
»Na i glaub's halt! Ein Graf! So 'was sieht man nicht alle Tag'!« Krastinik lachte bitter. »Also adieu, mein Engel. Hahaha, ich bin doch herzlich gespannt auf den Skandal, wenn nun nachher – –«
»Sst, die Wände haben Ohren.«– –
Leonhart starrte finster in sein Glas. Heute Nachmittag war er mit jenem Mädchen, das er halb gezwungen verführt, im Thiergarten umhergebummelt. Sie schrieb ihm jeden Tag Briefe, die ihn in Verzweiflung setzten, und so hatte er denn heute zwangsweise zu einem Stelldichein sich eingefunden. Da, als sie in einem abgelegenen Theil des Gehölzes sich in einen Dickichtwinkel zurückzogen, hatte er bei zufälligem Hinausspähen ein Gesicht bemerkt, das hinter einem Baumstamm etwa 50 Schritt entfernt hervorlugte, offenbar mit der löblichen Absicht, eine etwaige Missethat auf dem Fleck zu ertappen. Als Leonhart ihn strategisch wegmanövrirte und seine Rückzugslinie bedrohte, verschwand der Strolch laufend in der Lichtung. –
Dies komisch-unheimliche Bild verfolgte die nervöse Phantasie des Dichters. Fortwährend schien ihn aus jedem Winkel ein tückisches Auge anzublinzeln, ein frecher Mund anzugrinsen. Er schauderte – diese Hallucination des Verfolgungswahns schien ihm typisch für sein ganzes unseliges Dasein, das von tausend Tückebolden allerorts bedroht.
Das Eintreffen Holbachs, Luckners, Wurmbs weckte ihn aus seinem Brüten. Mit Letzterem ward eine frostige Versöhnung gefeiert und bald befand man sich in lebhaftem Gespräch über das Ding an sich. Wie gewöhnlich stellte Holbach, weil ihm das in seinen Kram paßte, den Grundsatz auf, das eigentliche Grundmotiv aller Handlungen sei immer ein erotisches. Mit jeder neuen Geschlechtstriebbethätigung werde immer ein Brett vorm Kopfe weggenommen. Leonhart sei nicht erotisch genug; da liege der Kernpunkt all seiner Weltschmerzelei. Dieser aber dachte so für sich hin: »der tiefbedächtige schlaue Bukingham soll nicht mehr Meister meines Rathes sein.« Er glaubte nämlich, daß Jener ihm nachspüre und darauf laure, eine schwache Seite zu entdecken. In der That fing er auch ein paar Mal einen durchdringenden Blick Holbachs, weitvorgestreckten Halses, auf, in dem ein dumpfer Haß schillerte. Als Leonhart mit seiner gewöhnlichen Bissigkeit einige anzügliche Bemerkungen über einen Händewascher Holbach's loßließ, rief dieser emphatisch: »Ach, der ist ja so harmlos!« Aber er selbst sah dabei verteufelt wenig harmlos aus, in der vollen Gloriole seines Edelmuths und seiner Deklamation wider schnöde Pharisäer. »Pah, er hat so wenig Aeußeres!« machte er, als Leonhart wie gewöhnlich die Genialität Schmollers herausstrich, da die Rede auf diesen kam. Dies empfand nun wieder Wurmb unangenehm obschon er sich ja für einen sehr schneidigen Kerl hielt, dabei aber Holbach's »vornehme« Erscheinung grimmig beneidete. Man dürfe doch nicht ewig, wie Holbach dies thue, die Leute nach ihrem Exterieur beurtheilen.
Leonhart lachte laut auf: »Wir sind doch alle eitle Gecken. Sage Du einem Weisen, der das Ding
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