Größenwahn
an sich und die Phänomenologie des Weltganzen intus hat: ›Liebster, Sie sind häßlich wie ein Affe‹, so vergißt er Dir das sein Lebtag nicht. Auch wird er Dich darüber belehren, daß alle großen Männer häßlich waren, z.B. Voltaire, und daß er daher schon seiner Häßlichkeit halber ein großer Mann sei.«
»Jaja, 's ist sehr nett, die Motive der Andern zu durchschauen, wenn man sich dabei nur Selbsterkenntniß bewahrt, mein Theurer!« meinte Holbach mit vielsagendem Blick. Er schauspielerte sich selbst wieder was vor und brauchte unablässig das Gleichniß vom »Splitter und Balken«. Er redete gut von Andern aus purer Diplomatie und flocht manche Andeutung über seine Großmuth gegen eigene Spezial-Schützlinge ein, welche er gleichsam als Ablaß für seine Sünden benutzte. Alles verstehen heiße alles verzeihen.
»Ja gewiß, gleichsam platonisch ist das auch meine Ansicht,« meinte Leonhart trocken. »Das Leben aber ist stählern und verlangt eine andere Politik. Man hüte sich vor denen, die Tugend und Idealismus unnützlich im Munde führen, aber auch vor den allzu feurigen Bekennern der Nachsichtstheorie. Es ist die thörichteste und schädlichste Philantropie, die Taugenichtse und Schwächlinge zu unterstützen auf Kosten der ernsten Kämpfer, die eher sterben, als sich ergeben.«
»Ja, Du hast sehr harte Ansichten,« gab Holbach achselzuckend zurück.
»Ach Gott, die Welt regulirt sich ja doch danach, gerade wie das Gewissen beim Einzelnen der Regulator des Willens sein mag. Wer weint, wird von Jedermann geohrfeigt. Man sieht das bei den Kindern, diesen harmlosen Ur-Egoisten. Nur wer wiederhaut, findet Mitleid. Der Stärkere hat Recht.«
»Sehr gut.« Luckner lächelte spöttisch. »Darum hauen Sie also so viel. Will hoffen, daß Sie stets der Stärkere bleiben.«
Leonhart nickte beschaulich und äußerte: »Alle Angriffe gegen mich, selbst die anfangs gelungenen, – es ist, als ob eine unsichtbare Hand sie von mir zur Seite lenke und auf die Urheber zurückschlage.«
Die Andern sahen sich an. »Nun, wenn das nicht completter Größenwahn!« dachte Holbach und runzelte unwillig die Stirn. »Das ist doch seltsam, bei Gott!«
Wurmb rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her, indem er sich die Brille zurechtschob. Er schien an einem großen Wort gelassen zu würgen. »Hören Sie,« hob er plötzlich an, indem er energisch den Deckel seines Biertrugs zuklappte. »Ich bin nicht so talentvoll wie Sie – das weiß ich wohl.« Gotthold Ephraim brummelte dies mit sauer verdrießlichem Gesicht und hielt sein Zugeständniß für sehr bescheiden, obschon es in Wahrheit nur von bodenloser Unverschämtheit zeugte, da die unüberbrückbare Kluft zwischen dem Genie und seiner Winzigkeit ihm gar nicht sichtbar schien. »Ihre enorme Produktivität – in diesem Punkte kann ich mich ja nicht mit Ihnen vergleichen. Aber über den Realismus, nehmen Sie mir's nicht übel, denke ich reifer als Sie.«
»Es war einmal ein großer Dichter, der den Realismus als Maske benutzte,« murmelte Leonhart halblaut. Hier kam die Rede auf einige Zierden des jüdischen Jungdeutschland, die mit wenig Talent und viel Behagen ihren Kohl pflanzten und mit fabelhafter Geschicklichkeit eine Leitersprosse nach der andern emporkrochen, theils als geschmeidiger Ohrwurm, theils als kecker Radau-Husar. Leonhart sprach sich sehr wohlwollend aus. Wurmb aber nannte sie »ebenso frech streberhaft wie frech eingebildet.«
»Eingebildet? Worauf denn?« lächelte der Dichterdenker.
»Ach je!« fiel Luckner giftig ein. » Wir halten uns doch alle für den jungen Goethe.«
»Das ist hier keine passende Antwort darauf, mein Lieber!« mahnte Leonhart leise und ruhig. Es lag etwas in diesem milden Ernst, was den schnodderigen Neidtrotz entwaffnete. Er bekannte dann in längerer Rede, daß er sich in Gesellschaft talentvoller Juden viel wohler fühle, von deren Energie, gesunder Weltlust und Unabhängigkeitsgefühl sympathisch berührt, als inmitten weltschmerzwinselnder und philosophischer Germanen. Fleiß wirke auf die allgemeine Moral günstig zurück und rüstige Streber seien ihm lieber, als faule Impotente. Als er aber dann auf die deutsche Nation schimpfte, welche jedes wahren Idealismus und jedes Kunstgefühls entbehre, da erhob sich Wurmb in seiner Würde als deutscher Mann und donnerte ihn gehörig nieder. Der Dichter müsse darben und entsagen, nicht durch schnöden Botenlohn seine erhabene Bestimmung entweihen. Schiller – ja,
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