Größenwahn
Standpunkt der Wohnungsmiethe aus! Was kann man auch von einer solchen Geschäftslitteratur anders erwarten! Unter all den Klatschweibern und Spekulanten des »Marktes«, für welche die Litteratur nur die melkende Kuh bedeutet, fühlte sich Leonhart manchmal wie ein Mensch unter Larven und Mollusken, wie ein Fremdling aus andern Welten.
Er dachte, was wohl wirkliche Künstler fühlen möchten, wenn sie diese Geldschmerzen der Ritter vom Geiste mit den ihren vergleichen. Z.B. der Bildhauer, der das Modell einer großen Gruppe zerschlagen muß, falls es unbestellt bleibt – weil in seinem Atelier kein Raum mehr dafür bleibt und der Thon zerbröckelt. Welches Gefühl, wenn er auf eigene Faust das Kind seines Geistes und seiner Arbeit, großgesäugt in kummervollen Tagen und Nächten, zerschlagen muß! Und der Dichter, der seine Manuskripte verbrennt, weil er keinen Verleger für so Hohes findet!
Ach, wie gerne hätte er wie Karl Moor fürchterlich Musterung gehalten unter dieser Bande, auf daß da Heulen und Zähneklappern sei in Juda und Israel!
Doch warum, wozu? Diese Sorte wird ja doch ewig die Litteratur als ein Leihamt oder ein Hospital betrachten, jeder tief davon durchdrungen, daß er leben und gedeihen müsse, natürlich auf Kosten der Fleißigen und Talentvollen. »Ich sehe nicht die Nothwendigkeit ein,« dachte Leonhart, wenn er den bekannten Appell an das gute Herz des »Collegen« über sich ergehen ließ. Der Gedanke, daß das Gedeihen eines Genies für die Welt hundertmal wichtiger, als das von zehntausend Dutzendschmierern, konnte diesen Durchschnittsgehirnen ja ohnehin nie dämmern. Und daß es nur eine Todsünde der Inhumanität gebe, nämlich Niederduckung des Bedeutenden und Aufblähung des Mittelmäßigen, schien ihnen noch schleierhafter. Die allgemeine Verdummung und seichte Verkommenheit machte nicht nur das Aufkommen, sondern sogar das bloße ahnende Erkennen eines großen Dichters unmöglich. Hier gab es lauter große Dichter! Jeder grüne Junge, der mal ein Buch verbrochen, sandte es: »Seinem Genossen Leonhart in collegialischer Kameradschaft.« Jeder, der etwas leidlich Tüchtiges leistete und das Wohlwollen des großen Dichters ausnutzte, fühlte sich in Vorreden eins mit ihm oder zählte ihn mit zehn andern bunt zusammengewürfelten »Namen« in einem Athem als gleichberechtigten »Mitstreiter« auf. Hält doch das Hündchen sich stets selbst für den Löwen, wenn der gutmüthige Leu mit ihm spazieren geht! War doch das litterarische Leben zu allen Zeiten eine Verschwörung der Talentlosen gegen die Talente, der Talente gegen die Genies! Schwer fällt es der Mitwelt, mit sehenden Augen zu sehen. Und die sittlichen Begriffe stumpften sich so ab, daß man die Unsterblichkeits-Assekuranzen als den Normalzustand hinnimmt. Auch unterscheidet sich ja die Presse erheblich von der Straßen-Prostitution: Letztere ist für Geld feil, erstere aus – Passion. So wurde denn die Muse zur Milchmagd, zur schwatzhaften Gevatterin, zum kichernden Backfisch, zur faselndeln Großmutter. Die bramarbasirenden »Idealisten« und die angeblichen »Realisten« ersticken mit ihrem Tamtam die Stimme der Dichterdenker mehr und mehr. Sahnenpoesey, aufgewärmter Mumienkohl, Schweinekarbonaden mit sentimentaler Zwiebel und Berliner Paprika genügt – gegen solche Tafelgenüsse vermögen Nektar und Ambrosia nicht aufzukommen. Ueberall Verwirrung der Begriffe. Die Sonnen sind erloschen, kein Mond zieht feierlich am Himmel herauf. Rings lastet tiefe Nacht, nur durchleuchtet von zuckenden Blitzen. – –
Leonhart fuhr aus seinem Vor-sich-hin-brüten auf; er hatte stier in sein Glas geblickt, während der Wortschwall schleusenlos um ihn her brauste. »Sie wollen schon gehn, Herr Kollege?«
Als Leonhart gegangen, wurde über ihn das Verdikt gefällt, er sei eine nervös überreizte Natur, aber ein sehr anständiger Mensch. Nur leide er an allzu tollem Größenwahn. Doch bemerkte ein Wohlwollender: » Wer litte heut nicht daran !« und man ging zur Tagesordnung über.
Daß ein gewisser Unterschied zwischen dem »Größenwahn« verkannter Größe und der hohlen Selbstaufblasung hohler Nichtse bestehe, diese Idee schien Keinem beizufallen. Denn kein Wörtchen wird ja heut lieber mißbraucht, als das ominöse » Größenwahn «. Zerlegt man das Wort in seine Bestandtheile, um sich über den Begriff klar zu werden, so ergiebt sich »Wahn« einer »Größe«, die nicht existrt. Wo also wirkliche Größe hervorleuchtet,
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