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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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bohrende Wurm.
     
    Eine Motte einsam flattert,
    Wo die Kerze einsam loht.
    Wer ist hier das Leben?
    Wer ist hier der Tod?
     
    In seinen unruhigen Schlummer drängte sich ein Bild der Vergangenheit, aber in seltsamer Gestaltung, die er sich wachend nicht zu erklären vermochte. Das linke Auge lag blutroth wie eine Wunde in dem zarten Haupt. Aber mit rührender engelgleicher Geduld schwebte die zarte Gestalt hin und her, und plauderte wehmüthig freundlich. Eine unsägliche Zärtlichkeit durchströmte sein Herz, als er auf das süße liebliche Antlitz herniederschaute.
     
    Immer noch litt er an der Krankheit, sich um das Urtheil der Andern zu kümmern, während er sie doch tief verachtete. Auch schwankte seine Menschenkenntniß krankhaft hin und her. Sprach er grade mit den Leuten, so ließ er sich dupiren; waren sie ihm ferngerückt und überdachte er ihr Wesen, so durchschaute er ihre Motive wie dünnes Glas. Andrerseits konnte er Menschen antipathisch im ersten Augenblick betrachten, um im nächsten bei seiner überzarten Gerechtigkeitsliebe, sobald dem persönlichen unangenehmen Eindruck entrückt, versöhnlich und milde zu denken. Ihm mangelte gänzlich jener letzte eingeborene Instinkt der Selbstsucht, der keine andre Rücksicht als das persönliche Interesse kennt und alles nur unter diesem Gesichtspunkt beurtheilt, fremd allen sonstigen Einflüssen. Auch seine Eitelkeit blieb immer noch zu reizbar und vergab keinem Dummkopf seine Albernheiten. Er dachte an sein Erstlingswerk, das er in frühster Jugend veröffentlichte. Darin gab es bei aller Unreife der Form schon Stellen, welche einen scharfsichtigen Kritiker mehr als überraschen, welche befremden mußten. Es klang darin, wie das unbeholfene Lallen eines großen Dichters. Wer aber unter den elenden Kritikastrirten hatte das erkannt! Ueber die schwerfällige Form, das Aeußerliche, konnte das Verständniß der Mehrzahl kaum hinwegkommen. Das war seine erste Erfahrung gewesen und wie zahllose sollten noch folgen! Nun hat ja freilich alles seine Vorzüge und alles seine Fehler. Es liegt also in der Natur der Sache, daß wir an unseren Sachen nur die Vorzüge, die Feinde nur die Fehler sehn. Man warf ihm vor, daß er sich zersplittere. Allein, sein umfassender Geist hatte seine Wurzeln so weit verzweigt, daß ihm Vielseitigkeit eine Lebensbedingung wurde. Vielseitigkeit ist an sich noch kein Merkmal des Genies, aber Genie im höheren Sinne ist ohne Vielseitigkeit kaum denkbar.
    Fortwährend verplemperte er sich und blieb selten ganz correct. Die »Correcten« sind übertünchte Gräber, deren lackirte Charakterlosigkeit alsbald sich offenbart, sobald man den Firniß ihrer »Grundsätze« abkratzt. »Wahrlich, wir sind zu jung noch!« Diesen Macbeth'schen Ausruf sollte sich Jeder täglich wiederholen, wenn ihn Gleichgültiges reizt. Aber zarte Sensitivität ist die Achillesferse jeder feineren Natur.
    Schrieb er Briefe, so gab er sich regelmäßig Blößen, weil ihm die Fleisch und Blut gewordene Verlogenheit der Andern mangelte. »Der Mann, der so seltsame Briefe schreibt,« nannte ihn Einer seiner Judasse, nachdem er lange die Vertrauensseligkeit des jovialen übersprudelnden Wahrheitsdranges ausgenutzt, und drohte Leonhart zu denunciren, weil er einen hochgestellten Staatsmann privatim verdächtigt hätte. Leonhart fand zuletzt nur eine Rettung: daß er überhaupt alle Briefschreiberei mit Unbedeutenden unterließ. Ein hoher Gedanke in seinen Werken zeigte ja sein wahres Wesen besser, als alle mündliche und schriftliche Konversation. Wer sein ganzes geistiges Vermögen in seine Schöpfungen gießt, kann zuletzt, todtmatt und mit aufgezehrten Nervensäften, für seine Correspondenz nichts mehr erübrigen. Werfen doch philiströse beschränkte Geister einem Ungewöhnlichen so leicht haltlose Unruhe vor, weil man bei ihnen unberechnende Aufrichtigkeit höchstens erzielen kann, wenn man ihre Eitelkeit verletzt!
    Wie einen Schmoller sein schlechtes Gewissen zu dem Argwohn trieb, daß andere über ihn noch schlimmer dächten, als es der begründeten Wahrheit entsprach, – so litt Leonhart umgekehrt an dem Wahne, daß Andere viel freundlicher über ihn dächten, als sie thaten. Daher warf er sich selber oft vor, daß er zu hart urtheile, wenn er die selbstsüchtigen Motive der Anderen durchschaute. »Gemüth« ist meist nur ein Zeichen physischer Schwäche. Freilich, wie oft nutzt andrerseits der physisch Schwache das Mitleid der Gutmüthigen aus!
    Schon hierin

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