Größenwahn
bleibt der Wahn ausgeschlossen. Heut aber in unsrer nivellierenden Trivialität würden wir Christus ebensogut wie Shakespeare und Michel Angelo des Größenwahns bezüchtigen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das Genie hat nie etwas davon gewußt, daß das »Genie immer bescheiden« sei. Diese bequeme Doktrin hat sich das Philisterium erfunden, um sich der Heroenverehrung entschlagen zu dürfen. Denn dieser Einbildung liegt nur das Prinzip zu Grunde, daß Rentier Schulze ein ebenso wichtiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft sei, wie das unbequeme und nirgends nach Schablone einzuschachtelnde Genie. Wäre freilich das Genie »bescheiden«, so würde Schulze es völlig übersehen; sobald es aber hochmüthig auftritt, ruft man ihm zu: »Sie sind kein Genie, weil Sie nicht bescheiden sind – so bescheiden, wie Bonaparte, Byron, Goethe, Schiller, Jean Paul, Kleist, Racine, Victor Hugo, Richard Wagner und all die anderen bescheidenen Größen.« Ein meisterhaftes Manöver, das nach beiden Seiten hin deckt. – So kraß und nackt ausgedrückt, scheint vielleicht Karikatur, was doch nur buchstäbliche Wahrheit ist.
Es wirkt unbeschreiblich komisch, die sittliche Entrüstung und Abneigung zu verfolgen, mit welcher Jedermanns Eitelkeit kollert, sobald Jemand sich für etwas Besonderes hält. Die Ochsen, die ein rother Lappen blendet, stoßen mit heißhungrigem Grimm ins Blaue. Von einem gewissen Shakespeare hieß es grollend, er halte sich für den einzigen »Shakescene« (»Bühnenerschütterer«); er sei ein strebernder Hausdampf in allen Gassen (»Johannes Faktotum«); ein Eklektiker, der jeden Stil nachahme, sogar ein Plagiator. Wenn man ihn mit Meister Ben Jonson vergleiche, da sehe man, wie dilettantisch und verfehlt seine Versuche seien, so größenwahnsinnig er auch sein Froschtalent aufblase.
Also quakten aus ihrem Sumpfe die Greenes, Kyds, Dekkers, Haywoods und all die andern Gebrüder.
Shakespeare aber, so bescheiden wie das Genie nun einmal ist, schrieb in sein Sonett-Tagebuch: »Nicht Marmor noch der Könige vergüldete Denkmäler werden überleben mein machtvolles Lied, das da währen wird bis zum jüngsten Gericht, bewundert von noch ungeborenen Geschlechtern.«
Wie kann man gegen das Selbstgefühl des Verdienstes etwas einwenden, wenn man die Großmannssucht all der hohler Impotenzen damit vergleicht! »Schriftstellerrepublik« – ja wohl! Aber jede Republik hat ihren Präsidenten und es giebt ebensowenig eine Gleichheit der Geister, wie der socialen Bedingungen.
Die Litteraten unter sich wollen auch gar keine Republik, sondern Anarchie , wo jeder naseweise Reporter sich als stimmberechtigt neben dem Dichter fühlt und jeder Zaunkönig den Adler »Kollege« schimpft. Eine Republik von lauter Königen – Percy, Prinz Heinz, Falstaff und seine Rekruten in Reih und Glied nebeneinander. Diese Disciplinlosigkeit schadet unendlich. Denn sie bildet die auf Gegenseitigkeit arbeitende Kameraderie aus, welche das Bedeutende nur anerkennt, wenn sie selbst als bedeutend begrüßt wird.
So kommt das Große nicht auf und andrerseits vergeht dem Großen die Lust, wohlwollend das Kleinere zu fördern, weil dieses sich sofort in zu hohe Kothurne unterschnallt.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
»Da kommt ja zuletzt noch was Schneidiges!«
Um eine zugige Ecke biegend, begegnete er einer alten Freundin, Adele der Chansonneuse mit dem griechisch-gemeißelten Köpfchen und dem griechischen Haarknoten, die aus einem Café Chantant in der Alexanderstraße nach Hause wanderte, pflichtschuldig der Polizeistunde 11 gehorchend. Dies freudige Wiedersehen zu begießen, nahm er sie in ein Bierlokal mit und erkundigte sich lebhaft, was denn seine alte Flamme, die Polin Wanda, mache, die sich vom »Geschäft« zu ihrem Liebhaber, einem Xylographen, zurückgezogen hatte und mit ihm wirthschaftete.
»Ach Jott, die erkundigt sich immer noch nach Ihnen, ob Sie mal wieder zu uns ins Lokal kämen; dann will sie immer alles haarklein wissen, was Sie jeredet haben. Ja, Wanda hält immer noch große Stücke auf Sie. Neulich sprachen wir noch von dem letzten Mal, wo wir uns sahen, da am Halle'schen Thor, wo ich bekneipt war und wie Ihr Euch auf offener Straße so abküßtet. Wie ich noch sagte: ›Ach, die Wanda ist gar nicht so stolz! Die nimmt alles!‹ Und Sie ihr nachher
Weitere Kostenlose Bücher