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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Lange blieb es ja unter Eingeweihten kein Geheimniß mehr, daß in Leonhart der eigentliche Centraldichter unsrer Zeit schlummerte. In ihm wäre uns der lang Ersehnte beschieden gewesen. Und nun ein so schreckliches Ende – weihen wir ihm eine stille Thräne! Vielleicht wäre er der deutsche Shakespeare geworden; so blieb er nur ein zerrütteter Shakespeare. Der schreckliche ›Fluch‹, den man unter seinen Papieren fand, trifft uns natürlich nicht. Wir haben unsre Pflicht erfüllt. Mögen die Elenden, die sich getroffen fühlen, es auf sich beziehen! Das ist das ewig alte Los des Genies in Deutschland. Erst wenn es im Grabe ruht, erkennt man neidlos seine Größe. Was könnte dieser große Mann unserm Volke geworden sein, wenn man ihn an die richtige Stelle gesetzt hätte! So – mußte er verkümmern, verbluten an tausend Nadelstichen. O wie ein edler Zorn uns bei diesem Gedanken durchtobt! Wir werden demnächst Briefe des Verstorbenen publiziren, dem wir einst nahe standen.«
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    Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.
     

II.
     
    Krastinik lag halb zurückgelehnt auf einer Bank im Regentspark. Ein traumhaftes Erinnerungsweh bewältigte ihn. Vor wenigen Minuten fuhr eine offene Karosse an ihm vorüber, in welcher Alice Egremont, jetzt Lady Mowbray, in nachlässiger Eleganz auf den Polstern sich wiegte. Unwillkürlich zuckte er empor. Ihr Auge glitt über ihn hin, sekundenlang blieb es hängen. Er grüßte, sie dankte flüchtig. Er bemerkte, daß sie erröthete. Aber wie bleich sie war! Sollte das Gerücht begründet sein, daß sie eine unglückliche Ehe führe, daß ihr Gatte, der nur ihr Vermögen freite, sie roh behandele? – –
    Regungslos saß er noch immer wie angewurzelt. Wie lange er so gesessen, er wußte es nicht. Seine gestorbene Liebe, sein gestorbener Freund, seine gestorbene Muse, die er weiter und weiter von sich entschwinden fühlte – alles floß ihm in ein gespenstiges Bild zusammen.
    Wo flüsterte hier nicht Erinnerung! Er hörte ihre Stimme überall, im Zwitschern der Vögel, im Rauschen der Bäume, im Klang der fernen Vesperglocken. In jedem dieser Laubgänge wehten einstgeliebte Locken – wessen, er wußte es selber nicht. Bewahrte die Urne der Erinnerung noch ihren Nektar, dies London noch eine Spur von dem, was sein Herz hier verließ? Hier werden einst Andre wandeln, wo er mit Dorrington plaudernd sich erging. Sie kamen hierher, Andre werden kommen. Den Traum früherer Menschenseelen werden sie fortsetzen und doch nicht vollenden. Denn diesem Traum frommt kein Erwachen. Nichts vollendet sich ja auf Erden, nichts. Alles beginnt, um nimmermehr zu enden. Wir alle erwachen, die Schlechten wie die Guten, die Großen wie die Kleinen, aber dies Erwachen heißt der Tod. Ja, der Tod weckt uns, wie ein Morgengruß. Und Leben heißt sich verschwenden an Schatten, an Schatten.
    Wie die alten Aegypter ihre Mumien, balsamirt die Erinnerung ihren Gram für ewig ein.
    Ob man den Spiegel in Scherben wirft, jede Scherbe spiegelt doch das alte Bild. Spiegle Dich nur kokett in der schmeichelnden Fluth! Schritt für Schritt lockt es Dich tiefer, bis der Fuß ausgleitet und die Woge über Dich hingeht. So ist die Erinnerung – man spiegelt sich darin und badet und ertrinkt.
    Und wenn dies alles nun wahr, wahr wie Leben und Tod, – da sollte man es der Mühe werth erachten, die Befriedigung der Eitelkeit allen Geboten der Ehre voranzusetzen? Nein, nimmermehr.
    – Krastinik fuhr zu Lady Dorrington und verabschiedete sich bei ihr. Zu Hause schrieb er zwei Briefe. Einen nach Haus. Von Berlin her war ihm ein Brief seines älteren Bruders nachgesandt. Die Brüder correspondirten sonst wenig, da ihre Lebensanschauungen zu verschieden. Diesmal aber erhielt er einen langen Brief des Majoratsherrn. Er befinde sich momentan auf den Stammgütern in Siebenbürgen und erwarte den Adel der Umgegend zu einer Bärenjagd. Auch sein Freund Graf A – y, der Führer der klerikalen Opposition, werde sich einfinden. Da würde man sich wohl mit Schmerz davon unterhalten müssen, auf welche traurige Bahnen ein Krastinik gerathen sei. Erstlich solle Xaver ja in Berlin sich ganz germanisirt haben und abscheuliche Preußomanie pflegen. Den Kreisen der Oesterreichischen Botschaft halte er sich ganz fern, wie man höre. Unverzeihlich von einem Krastinik. Aber noch schlimmer, man sehe,

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