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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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fortwährend mit deutschen, da die Hälfte der Stammmütter dem deutsch-österreichischen Adel angehörte. Auch Xaver's Mutter war eine Deutsche gewesen. Jetzt erst verstand er, daß in seiner ganzen schwerflüssigen Art das deutsche Element überwog . Daher auch sein rasches Einleben in deutsches Wesen. Darum auch vor allem jetzt der mächtige Trieb einer Stammeszugehörigkeit, der in ihm durch Bewunderung deutscher Kraft erwachte. Dies Deutsche Reich – schien es nicht der einzige feste Punkt in der Erscheinungen Flucht? Alles wankte und splitterte. Im Westen in Frankreich und England, Anarchie. Im Osten Panslavismus und Nihilismus. In Deutschland allein das Positive allem Negativen trotzend.
    Ja, die große Sündfluth an allen Enden. Der Panslavismus will sein Ziel erreichen um jeden Preis, entweder mit dem Zaren oder ohne ihn. Und siegt er, so springt der Zarismus doch. Denn alles arbeitet im Westen wie im Osten nur einem Ziel entgegen: der Auflösung aller bestehenden Gesellschaftsformen. Alle Anzeichen sind dieselben wie vor der Großen Revolution. Barbarei lauert aller Enden, den morschen Culturbestand zu vernichten.
    Um Deutschland muß sich zusammenschließen, was noch auf eine glückliche organische Entwicklung hofft. Nur Deutschland besitzt die unverbrauchte Kraft, sich aus eigener Initiative innerlich aus den Schäden der gegenwärtigen Gesellschaftsbildungen emporzuläutern und aus der häßlichen Puppe dieses Uebergangsstadiums den beschwingten Schmetterling eines neuen Freiheitsbegriffs loszulösen.
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    Jetzt hatte er ein unpersönliches Ideal gefunden, das eine wesenhafte Realität vorstellte. In der freudigen Erleuchtung dieser seelischen Entdeckung aber erkannte er zugleich, wie die Uebertreibung seiner berechtigten Auflehnung gegen sein früheres persönliches Ideal ihn wiederum in Ungerechtigkeit verstrickte. Die krankhafte Reizbarkeit, schwächliche Verbitterung und selbstische Ich-Begeisterung Leonharts wurde vollauf erklärt durch die chemische Zusammensetzung seiner Natur und durch die geologische Lage seiner äußeren Lebensverhältnisse, beide unter die Einwirkung der Elektricität einer geistigen galvanischen Strömung gebracht.
    Wie gewöhnlich bot sich auch jetzt ein unerquicklichstes Schauspiel, das jeden ernsten Diener der Wahrheit, der bedächtig ein gerechtes Urtheil zu schöpfen sich müht, am tiefsten verletzt. Nur von persönlich gehässigem oder Parteistandpunkt aus wurde nunmehr, nachdem endlich über die »Affaire Leonhart« genug Lügengras gewachsen und der in den Tod Gejagte nach beliebter Taktik gegen seine überlebenden Rivalen als »Klassiker« ausgespielt war, das gegnerische Urtheil laut. Da hatte bald Der bald Jener irgend eine Mordsgeschichte aufzutischen. Theodosius Drollinguère (er hatte seinen Namen nun glücklich gallificirt, auf daß seine französischen Freunde ihn besser aussprechen lernten) brachte einen Artikel in seinem Wochenblättchen »Die Wahrheit über F. Leonhart«, worin er Denselben der ostentativen bewußten Verrücktheit zieh. Doch war er zu feige, sein »D.« darunterzusetzen und verschanzte sich hinter ein »B.«, das Zeichen seines Substituts. Dieser Mann hieß Bullerich. Ein schöner Name.
    Mit polypenhafter Geschmeidigkeit umkrallte hier der bedächtige Drollinguère sein Opfer. Da derselbe sich nicht mehr wehren konnte und keine Angehörigen hinterließ, welche etwa Strafantrag stellen durften, so gestattete sich Theodosius sogar den Luxus persönlicher Verdächtigung. Leonhart sei ein gesinnungsloser Mensch gewesen, mal liberal, mal conservativ, je nachdem seine Geschäfte es verlangten.
    Krastinik kannte die Verhältnisse genau und wußte, daß der Dichter nie in irgend einer politischen Beziehung zu irgend einer Partei und irgend einem Blatte gestanden. Mit unwiderstehlicher Komik verlangen jedoch die jüdisch-liberalen Blätter, daß man, falls sie Honorar für Feuilletons oder Novellen zahlen, auch als liberaler Philosemit fungire; und bei den Conservativen steht die Sache gradeso. Leonhart hatte nie nur um Haaresbreite seine tiefen politischen Ueberzeugungen geändert und sich stets zum demokratischen Cäsarismus bekannt. Auch seine pangermanistischen Ziele hielt er unbeirrt im Auge, seine Verachtung der deutschen Kleinlichkeit und Philisterei verleugnete er nie. Demokratisch in seinen Anschauungen, verehrte er das

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