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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Zerfleischen der Ichsucht findet.
    Er stellte sich vor, ihr Gesicht werde von Runzeln zerfressen, ihr Busen schrumpfe ein und sie huste schwindsüchtig. Auch dann noch glaubte er ihr dieselbe, ja vielleicht eine noch tiefere Neigung bewahren zu können.
    Vielleicht keine Selbsttäuschung. Um so schlimmer für ihn, daß er diese Betrachtung über das Wesen der Liebe wagte. Liebe wird erst dann mörderisch, wenn sie die Sinnlichkeit überwunden zu haben glaubt: Dann ist sie in alle Adern wie ein Giftstoff übergegangen. –
    Eduard arbeitete tapfer den ganzen Tag darauf los, seine peinigende Ungeduld bezwingend bis ihn die Stunde rief.
    Das erste Mal, daß er an einem Sonntag die alte liebe Fährte ging. Die ganze Friedrichs- und Chausseestraße hinauf wogte es in buntem Gewühl.
    Die Sonne schien hell; ihm war schwül und beklommen zu Muth, als die Arbeiterbevölkerung des Weddings in Sonntagsröcken an ihm vorbeiströmte. Als er wieder das alte rumpelige Haus betrat, schlug es Vier.
    Er kam also just zur Zeit. Gleichwohl bat ihn die Wirthin, sich zu gedulden; Kathi käme gleich.
    Wieder saß er am Fenster und blickte auf die Straße hinab. Wie ihm das Herz schlug! Die Erinnerung so mancher unseliger Stunden der Vergangenheit, die trübe verrauscht oder thöricht genossen, stieg, wie dampfender Nebel aus dem Moore, wie eine bleiche Erynnienschaar, aus der Tiefe auf und huschte über das grell beleuchtete Trottoir der Straße da unten hinweg. Sein Herz lauschte düster den Stimmen aus dem Abgrund und tauschte mit ihnen schwermüthige Grüße.
    Die Wirthin trat einmal ein und holte etwas, indem sie still vor sich hinlächelte. – Endlich ging die Thür leise auf und sie trat ein. Sie trug den geblümten Schlafrock, der ihre Gestalt so prächtig hervorhob. Schweigend ging sie wie gewöhnlich, ohne ihn anzusehn, bis in die Mitte des Zimmers.
    »Danke, daß Sie gekommen sind,« sagte sie sanft mit einem ernsten schönen Blick.
    »Nun, in welcher Angelegenheit haben Sie mich zu sprechen?«
    »O in gar keiner. Ich wollte Sie nur noch mal wiedersehn. Vielleicht reis' ich schon morgen. Und da wollt' ich doch den letzten Abend noch mit Ihnen zusammen sein.«
    »Gut. Da hab ich Ihnen auch noch ein Rosenbouqet mitgebracht.« Er nestelte es aus dem Ueberzieher heraus und warf es auf die Kommode.
    »Besten Dank!« Sie stellte es in ein Glas Wasser und setzte lächelnd hinzu:
    »Wer weiß, für wen das in Wahrheit gewesen ist! Das war am Ende gar nicht für mich!«
    »O doch, mein Engel. Und hier ist auch meine Photographie.«
    Sie klatschte vor Vergnügen in die Hände. »Ach, das ist schön! Dafür sag' ich Ihnen doppelt Dank. – Sehn Sie, auf dem Bilde sind Sie sehr hübsch. Ja, so sehn Sie gut aus.«
    »Und bekomm ich kein Bild von Dir?«
    »Ja, Sie sollen eins haben,« sagte sie energisch und wühlte in ihrem Album. »Im Kostüm wollen's keins?«
    »O, um Gottes Willen nicht. Da die eine mit dem Buch!«
    »Ich hab zwar nur die eine und geb' sie sehr ungern. Aber Sie sollen sie haben.«
    »Und was schreiben Sie darauf?«
    »Aber Sie dürfen nicht zusehn.«
    »Nein doch!« Er ging ans Fenster.
    Sie beugte sich über die Photographie und kritzelte darauf. Wie wunderbar schön sie war! Ihre Gesichtsfarbe hatte sich rosig gefrischt und ihre braunblonden Haare leuchteten in einem undefinirbaren sauberen Glanze.
    »Schreibe: Meinem Freunde ,« sagte er mit Nachdruck. »Denn das bin ich gewesen und das werde ich stets sein.« Sie schrieb drauf los. »Ach,« fuhr er fort »Ich kenne die Welt: In drei Wochen hab ich Dich ganz vergessen. Und ich habe so viel Abziehungen. Das kennt man ja. Vielleicht werden wir uns nie wiedersehn.«
    »Aber was hab ich denn da geschrieben!« fuhr es ihr plötzlich heraus, indem sie mit einem humoristisch erstaunten Blick und reizendem Schmollen von der Photographie aufschaute und ihn ansah.
    »Nun, was denn?«
    »Nein, das dürfen's nicht sehn!« Wie der Wind war sie zur Thür hinaus und kam mit einem Messer wieder, mit dem sie alsbald auf der Rückseite radirte.
    »Was mag denn das wohl gewesen sein?«
    »O ich will's Dir sagen. Ich hatte geschrieben: ›Meinem lieben Quälgeist‹. Nun schrieb ich Das .« Sie reichte ihm das Bild auf der Rückseite hin. » Meinem liebsten Freunde zum Abschied gewidmet .« Sie sagte es so ernst. Ein leichtes Stirnrunzeln fältete ihre Stirn und schien sich gleichsam in der zarten Rammsnase fortzusetzen, die sich eigenthümlich rümpfte.
    »Das hast Du gut gemacht. Ja,

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