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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Spitzenschleier sowie rothe Fez mit blauer Troddel auf dem Chignon sollten augenscheinlich das indische Lokalkolorit veranschaulichen.
    Annesley schnitt eine dämonische Grimasse, strich genialisch einen Haarbüschel in die Stirn und pflanzte sich in einer malerischen Pose auf, als wolle er eine Arie singen. Offenbar erwartete er, daß sämmtliche Weiber sofort bei seinem Anblick auf den Rücken fallen würden, mit dem schmachtenden Aufschrei: »Dieses blasse Gesicht ist mein Schicksal!« Da jedoch nichts Aehnliches eintrat und sein pantomimisches Ballet nur mit der zarten Aufforderung belohnt wurde: »Na, Blondchen, setze Dir man! Ist Dir unwohl?«, warf er sich mißmuthig auf ein Kanapee, nachdem er seinen Schlapphut in die Luft geschleudert und wieder aufgefangen. »Ich werde mir ein Weib erkiesen,« meinte er großartig. – »Um Gotteswillen nicht hier! Denken Sie doch, noch neulich der Heilgehülfe –« »Was geht das Sie an?« Das Zukunftsgenie bäumte sich auf, in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt. »Uebrigens pumpen Sie mir bis übermorgen 10 Mark. Ich habe mein Portemonaie vergessen.«
    Das Lokal duftete nach abgestandener Lüderlichkeit und Eau de mille fleurs, wie gewöhnlich. Die Schenkheben – verkommen, aber nicht zu sehr – producirten alsbald die berüchtigten Porterflaschen à 1 Mark, woran der Wirth 90 Pfennige zu verdienen beliebt.
    »Darf ich mir auch eins holen?« Diese stereotype Frage hatte Eduard als ausgepichter Mann der Erfahrung mit einem abwehrenden Grunzen beantwortet. Da fiel sein Blick auf eine Jungfrau am Nebentische, die mit einem Kneifer auf der Nase, einen keck überlegenen Ausdruck im Gesicht, ihn anstierte.
    »Die da soll herkommen!« – Mit einer graziösen Verengung huschte sie heran, jedoch an Henry Francis Annesleys Seite, der sie gleichgültig musterte. Nachdem sie erst Annesleys, dann Eduards Hut aufgestülpt und sich in allerlei niedlichen Koketterieen geübt hatte, eröffnete der nachlässig hintenüber lehnende Maler in schläfrigem Ton ein Wortgeplänkel. Annesley hatte sich mit der ihm eigenen nervösen Unruhe in das Nebenzimmer geflüchtet, wo er plötzlich dem üblichen Klavierspieler eine seiner Lieder-Compositionen mit Stentorstimme vortrug.
    Als sie nun zum Aufbruch rüsteten und Eduard in einer Auswallung ungesunder Generosität eine Mark Trinkgeld spendirte, fühlte sich Fräulein Mary – so nannte sich die Kneiferbehaftete – innig zu ihm hingezogen und bat ihn mit ihren holdesten Schmeicheltönen, eine Flasche Wein mit ihr zu trinken. Halb zog sie ihn, halb sank er hin. Annesley wünschte gute Verrichtung. Eine Collegin band Eduardo die Mary dringend auf die Seele, da diese gerade kein »Verhältniß« habe, und die zärtlichste Schwärmerei à 16 Mark (Zwei Flaschen Gift à 6 Mark 50 Pfennige und drei Portionen Oelsardinen, welche die »gute Freundin« so gerne aß, à 1 Mark) entwickelte sich. Was thut man nicht, um in diesen distinguirten Kreisen populär zu werden!
    Als Eduard sein Portemonnaie musterte, fand er leider nur 15 Mark darin und wollte doch wenigstens 5 Mark für weitere Auslagen behalten. Also deponirte er, 10 Mark zahlend, die Uhr. Fräulein Mary erschien, nachdem er eine Viertelstunde in gräulichem Zug vor der Hausthür gewartet, mit einem wundersamen Strohhut, dessen Krempe phantastische Blumen garnirten.
    Seltsame Menschennatur! Trotz seiner alles beherrschenden Liebe für Kathi wußte ihn Mary derartig durch ihre stille Gluth zu bezaubern, daß er in ihren Armen sein Liebesweh gerne vergaß. Sie erzählte ihm eilig ihr ganzes Leben (die übliche Wahrheit und Dichtung) und betete ihn augenscheinlich an, wie dies bei dem ersten Eindruck gegenseitiger Neigung so häufig ein freundlicher Selbstbetrug gestattet. Als sie ihm eine Rührgeschichte von ihren Augen erzählte, wie sie am Staar erblindet gewesen und dabei von dem Mitleid eines Biedermannes unterstützt worden sei, der auch in der Blindheit ihr treuer Freund blieb – da trug sie das Alles so reizend vor, daß Eduard nicht umhin konnte, sie auf die süßen verkniffenen Augen zu küssen und sie mitleidig ans Herz zu drücken. Nachdem er sie aber dann zärtlich »Mein Bräutchen« genannt und sie mit niedlichem Schmollen »Ach, das sagst Du jetzt schon!« gelispelt hatte, packte er sie in eine Droschke, statt mit ihr nach Hause zu wandeln, wobei sie ihn noch aus dem Wagenschlag wie wahnsinnig küßte und ihn beschwor, sie morgen wieder durch sein Erscheinen zu beglücken.
    Er

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