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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Herzog gewesen war. Das kommt Alles viel schrecklicher wie man denkt.« Er sah vor sich nieder. Die Gesellschaft fühlte sich in der Verdauung gestört und ein reicher Brauer legte mit schmerzhafter Miene seine Hand auf die weiße Weste seiner Magenhöhle.
    »Sie machen Einem Angst und Bange,« sagte Miß Maud mit ihrer scharfen Stimme. »Aber wie wäre das Alles denn möglich? Wer will denn in Europa Revolution außer den unteren Ständen? Man mag ja wohl einige sociale und sonstige Uebelstände abschaffen; aber darüber hinaus geht Niemandes Wollen.«
    Krastinik lachte leicht auf. »Ja wohl, wer will Revolution! Die paar hundert Jacobiner sind es gewesen, die ganz Frankreich tyrannisirten und die Besiegung Europas organisirten. Und mit dem Abschaffen socialer Uebel auf gesetzlichem Wege geht es, wie mit der Lawine, die aus einem Schneeball sich bildet und ins Rollen kommt, bis sie im Abgrund verdonnert. Niemand wollte damals die Republik, Jeder nur die Constitution. Aber es liegt in der Art der Monarchie, daß sie ihr abgerungene Beschränkungen nie gutwillig trägt, sondern stets dagegen opponirt. Ich, Aristokrat, Monarchist bis in die Knochen, Royalist, getreu meinem kaiserlichen Herrn, würde es nicht anders machen; würde den Thron im Kampf gegen die siegreiche Demokratie unterstützen. Diese aber ist wie der Tiger, der Blut geleckt hat. Man gebe ihr nur den triftigen Vorwand, indem man ihr trotzt, und sie springt von Stufe zu Stufe ihren letzten Ziele entgegen. Auch überstürzt sich ja Alles in solchen Zeiten. In der berühmten Nachtsitzung des französischen Adels vom 4. August 1789 wollte man auch mit einigen allgemeinen Gleichheitstiraden beginnen und endete um 2 Uhr Morgens, nachdem man die gesammten Privilegien und Feudalrechte mit eigener Hand vernichtete! – Uebrigens doch bei alledem eine merkwürdige Nacht,« fügte er nach einer Pause hinzu, da Alles schwieg und sich betreten ansah. »War ja verrückt, aber wird dem französischen Adel doch ewig zur Ehre gereichen. Denn..«
    »Meine Herren,« unterbrach ihn Miß Maud, indem sie sich hastig erhob: »Ich finde, das Gespräch nimmt eine zu ernste Wendung. Die Damen erwarten Sie schmerzlich.«..
    Xaver empfahl sich bald. »
A queer little fellow!
« näselte Mowbray, indem er ihm durch sein Monocle nach sah. Alice, der er die Cour schnitt, antwortete nicht.
    »Ein schrecklich geschwätziger altkluger Mensch. Läßt Niemanden zu Worte kommen,« brummte Egremont, der mehrmals pompöse Phrasen hatte verschlucken müssen.
    »Und was für baroke Ansichten er hat!« meinte, eine Freundin von Miß Alice.
    »Und so von sich eingenommen!« meinte eine Freundin von Miß Maud.
    »Man begreift gar nicht..« sagte der fette Brauer, der die Hand auf die weiße Weste seiner Magenhöhle, zu legen liebte. »Ein Graf.. und so vulgär radikale Ansichten!«
    »Ueberspannt!«
    »Revolutionär!«
    »Hm,
you know..
Graf.. das bedeutet nicht viel auf dem Continent.. da ist immer der Zehnte Graf.«
    »Hm, er ist ja wohl auch ein jüngerer Sohn,« warf Egremont nachdenklich hin.
    »Ah, ein jüngerer Sohn?!« näselte Mowbray.
    »Das erklärt mir Alles!« entschied der fette Herr mit der weißen Weste.
    »Jüngere Söhne – hähä – sind immer radikal.«
    »Kurz,
a queer fellow!
« setzte Mowbray als letztes Punktum. Miß Alice ermuthigte ihn durch einen schmachtenden Blick.
    Eine entscheidende gesellschaftliche Niederlage. »
A queer fellow
« – dieser Spitzname hatte den fremden Eindringling für immer gestempelt. Das kommt davon, wenn man diese Ausländer, diese Foreigners, in die britische Respektabilität aufnimmt Sie zweifeln an der Unfehlbarkeit alles Englischen, sie reden von unbequemen Sachen, welche die Verdauung stören. Sie verletzen die herkömmlichste Sittlichkeit in ihrem wilden barbarischen Größenwahn.
     

Viertes Buch.
     
    »Bitu meine Nauze?« flüsterte Mary in ihrem Kellnerinnen-Jargon, indem sie ihre Arme zum Abschied um Rothers Hals schlang. – »Adieu, mein Schatz.«
    Rother warf sich in eine Droschke, nachdem er die ihre bezahlt, um sie allein nach Hause fahren zu lassen. – Der Droschkengaul trug ihn langsam durch die lautlose Winternacht. Ein sonderbarer Geruch haftete an seinen Kleidern, wie auf einer Wange der Biß oder die Nässe eines allzufeurigen Kusses haften bleiben – ein Geruch, wie ihn ein transpirirender Mädchenkörper ausströmt, dessen Schweiß durch die Blumen und den Parfüm der Kleider einen durchdringenden wollüstigen

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