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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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befürchten; die haben Nerven von Stahl.«
    Krastinik hatte sich zwar baß gewundert, an allen mit Reklameprospekten beklebten Mauern, ja sogar in Anstalten für öffentliche Nothdurft, Mittel gegen »
nervous debility
« empfohlen zu sehen. Doch er biß sich auf die Lippen und schwieg, bis der alte Egremont mit Würde das unumstößliche Dogma hinwarf: »Well, Sir, das werden Sie ja nicht bestreiten: Der englische Soldat ist der beste der Welt. Sogar der deutsche Kronprinz hat auf einer Revne in Aldershot dies geäußert. Es stand in allen Blättern.«
    »Dann muß es freilich wahr sein,« versetzte Krastinik ernsthaft, obschon er gern etwas von »Compliment aus Höflichkeit« hätte einfließen lassen. Dagegen bemerkte er mit ruhiger Ironie: »Ja freilich. Auch Napoleon soll so etwas auf St. Helena einigen Engländern gesagt haben. Die englische Infanterie sei die beste in Europa. Nur fügte er hinzu: ›Gott sei Dank, giebt's nicht viel davon. ‹«
    Auch diese Einschränkung, deren Stachel man wohl fühlte, kam der britischen »Glory« (dieser widerlichen Bastardschwester der französischen Gloire) augenscheinlich ungelegen. Denn Mowbray fiel hastig ein: »Doch haben diese Wenigen ganz Europa geschlagen.«
    Krastinik hätte sich gern erkundigt: wo, und würde in Sachen Waterloo dem britischen Kameraden die »Waterloo-Lectures« des Colonel Chesney an der Woolwicher Kriegsschule empfohlen haben. Doch behielt er wohlweislich sein Wissen für sich.
    Egremont ritt jetzt wieder sein pomphaftes Steckenpferd. Nachdem die »Britische Aristokratie« durch das Toryministerium Salisbury wieder die Leitung der auswärtigen Geschäfte übernommen, werde Großbritannien aufs Neue die entscheidende Rolle in Europa und speziell in dem kommenden Weltkrieg spielen. Krastinik hütete sich wohl anzudeuten, daß man auf dem Continent über die »Krämerpolitik« ganz anders denke, und meinte auch, daß England in Asien seine Suprematie behaupten werde. Ueberhaupt überschätze man Rußlands Macht bei weitem, das wegen gänzlicher Verrottung der Verwaltung so spät mobilisiren könne, daß an einen erfolgreichen Offensivkrieg desselben gar nicht zu denken sei. Dagegen sei man, wenigstens im großen Publikum, geneigt, Frankreichs in der That furchtbare Macht jetzt zu unterschätzen. Ebenso sei Oesterreich bei all seinen unteren Schäden die drittgrößte und -beste Militairmacht geblieben und könne zur Noth allein mit Rußland fertig werden. Das Gespräch lenkte sich jetzt auf den Nihilismus und von da auf ähnliche Erscheinungen: Die Irischen Dynamitverschwörer, die Deutsche Socialdemokratie, den Anarchismus. Nachdem man hin- und hergeredet und auch die Millionen umfassende socialistische Liga. »
United Workmen
«, welche der englischen Gesellschaft Gefahr drohe, besprochen, sagte Krastinik plötzlich: »Ja, wir werden wohl Alle noch dranglauben müssen.«
    »Wie meinen Sie das?« Der zur Ruhe gesetzte Bücher-Millionär blies die Backen auf und steckte unwillkürlich die Hände in die Hosentaschen.
    »Ich meine, daß wir Alle noch ins Gras beißen werden und daß die sociale Revolution ein unabwendbar drohendes Gewitter ist.«
    Miß Alice, die auch hinzugetreten war, stieß einen allerliebsten kleinen Schrei aus. Mowbray, der britische Leu, ermuthigte sie jedoch mit einem feurigen Blick: »Fürchten Sie nichts, Miß. Noch wird es nicht an Männern fehlen, welche die Gesellschaft zu schützen wissen. Gott sei Dank giebt es noch Armeeen und Offiziere zur Rettung der Staatsgewalt.«
    Krastinik sah nicht den kokett zärtlichen Dankbarkeitsblick der reizenden jungen Dame, sondern fuhr düster und etwas unwirsch drein: »Bravo! So sprach man auch vor der Französischen Revolution! Das sicherste Kennzeichen für die positive Gefahr scheint es mir aber, daß man überall in der Guten Gesellschaft von der socialen Revolution wie von einer Wahrscheinlichkeit schwatzt – grade so wie damals die Grandseigneurs thaten. Welche schöne Revolution werdet Ihr haben! Kinder, ich beneide Euch! rief der Patriarch Voltaire als gefeierter Jubelgreis der liberalen
Jeunesse dorée
zu, die sich als schwärmende Schöngeister eine Revolution wie eine galante Oper dachten. Ach, er brauchte sie nicht zu beneiden! Sie wurden ja Alle geköpft. Je mehr sie von Freiheit und Brüderlichkeit schwatzten, desto eher. Was half's dem Herzog von Orleans, daß er sich ›Bürger Philipp Egalité‹ nannte? Die Egalité verlangte darum doch seinen Kopf – eben weil er

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