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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Lyoner Seide, als ein Armband für sie hätte das vergeudete Kapital weit besser seinen Zweck erfüllt! Was waren alle Kunsterzeugnisse und alle Naturschönheiten neben einem Rümpfen ihrer klassischen Nase, einem Zucken ihres göttlichen Mundes, einem schelmischen Aufzucken ihrer Augensterne!
    Sie, sie – und die ganze übrige Welt wiegt federleicht auf dieser Wagschale.
    So schleuderte ihn der Furor Aphrodisiacus immer tiefer in die Verzweiflung hinein.
    Eine neue Phase der Selbstquälerei begann. Er durchmusterte seine Mappen mit Skizzen seiner Bilder und betrachtete die vollendeten Werke, die er sich wegen Mangels an Käufern an die Wand hängen durfte. Ueberall fand er grobe Fehler; auch die Verschneidungen der Illustrationen, die an illustrirte Familienjournale geliefert, und die Mängel der Photographieen nach seinen Bildern entgingen ihm nicht. Selbst der schlechte Firniß auf einem seiner vollendeten Opera an der Wand ärgerte ihn.
    Zu flüchtig, zu rasch, zu viel! mußte er sich immer sagen. Andrerseits muß man mit tausend Zufälligkeiten kämpfen. Ein Bild wurde ihm einmal auf der Treppe, als es zur Kunstausstellung auf den Cantianplatz wandern sollte, vom Träger fallen gelassen und übel lädirt. Durch einen ausgeführten Carton hatte der kleine Bube des Portiers, der in seinem Atelier bei einer Reinemacherei in seiner Abwesenheit spielte, mit einer großen Latte, wie man sie zum Anlehnen des Armes beim Malen benutzt, ein brettes Loch gestoßen. Ueberall alberne Widerwärtigkeiten, überall Aerger und Quängelei, selbst wenn man sein Aeußerstes darangesetzt.
    Hier diese Armverzeichnung, dort jene unrichtige Verkürzung. Hier hätte die coloristische Stimmung durch eine geringe Aenderung sehr gewinnen können, dort hat ein zu grell gegriffener »Ton« die ganze Einheitlichkeit des Colorits verdorben. Und was in der Kunst einmal geschah, ist nicht mehr zu repariren. O die Kunst, welche Folter! Wie ist sie unerlernbar, und je höher das Ziel gesteckt, desto schwerer! Und hinterher die naseweisen Redensarten des Publikums und gar der Recensenten, wo sich Jeder nur an die auffälligen Mängel und Wenige an die auffallenden Vorzüge klammern!
    Allerdings mußte er sich bekennen, nachdem er sich drei Tage lang in diese Selbstquälerei eingewühlt, daß die Verbesserungen und Umänderungen, die er vornehmen wollte, im Grunde wenig änderten. Bei Manchem hatte er obendrein die praktischen Verhältnisse nicht bedacht, als er in seinem Verbesserungs-Delirium plötzlich an einige Besitzer seiner Werke schrieb, man möge ihn an den alten Sachen künstlerische Verschönerungen versuchen lassen. Man erwiderte ihm höflichst, daß dies jetzt zu spät sei, daß man das Werk in dieser Form liebgewonnen habe, daß eine Umänderung selten eine Verbesserung sei. Es ist ein Fluch des Künstlers, daß seine Werke stets nur in der Form fortleben sollen, die er ihnen zuerst verlieh. Keine Verbesserung wird genehmigt. Und ebenso quält die Betrachtung den Künstler, nachdem er sich über etwaige Fehler und nothwendige Verbesserungen das Gehirn zermartert, daß im Grunde genommen diese Fehler gar nicht so störend wirkten und vielleicht sogar einen gewissen Reiz besaßen, während das nutzlose Grübeln darüber nur zeitraubend sein konnte.
    Was einmal geschehn, ist nicht mehr zu ändern.
    Es giebt Autoren, die sich ewig über die Druckfehler ärgern, welche sie – und bekanntlich immer neue – in ihren Büchern entdecken. Ebenso geht es mit den Fehlern überhaupt. Nach solchem Maßstab würde bei jeder Leistung das
nonum prematur in annum
nöthig sein. Allerdings giebt es Momente, wo dem Künstler die ungeheure Pein, Entsagung und Arbeitskraft, wie in eine Masse zusammengeballt, überwältigend naherücken, welche sein Beruf von Jugend an erfordert. Nichts auf der Welt lebt, was sich den Leistungen des wahren Künstlerthums vergleichen ließe, und nichts wird verhältnißmäßig so wenig belohnt. Wenn schon die erfolgreiche Arbeit so viel Opfer kostet, wie viel mehr erst die erfolglose, erfolglos in künstlerischem oder in roh materiellem Sinne! Welche namenlose Qual liegt in dem Gedanken, daß eine Arbeit nur deswegen nicht zur Vollendung reiste, weil der Künstler sich allzu Schwerem und Hohem zugewandt? Und wie oft sind künstlerische Fehler, die später unreparirbar erscheinen, aus einfachen brutalen Nothwendigkeiten der realen Verhältnisse hervorgegangen! Nur der Feldherr, der Alles an Alles zu setzen gewohnt ist und

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