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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Duft empfängt.
    Rother befand sich in einem Zustand willenlos mechanischer Apathie. Der Trieb zum Produciren schien ihm ganz verloren gegangen. Er bummelte in den Spelunken herum, wie ein von mechanischen Fäden, gezogener Automat. Bei Marys Freundinnen verlieh man ihm den Spottnamen »der Trompeter«, da Scheffels Säkkinger Aventüre diesen Weibern meist geläufig ist – sie wollten damit das Künstlerisch-Ideale bezeichnen und griffen daher, als Mary schwärmerisch von ihrem neuen Freunde meinte, er sei so süß und lieb wie der Trompeter von Säkkingen, diese Bezeichnung auf.
    Immer neue Flaschen Wem trinken, gilt als Bedingung eines innigen Verhältnisses in diesen Lokalen, wenn der Wirth sie väterlich sanctioniren und die Kolleginnen ein Auge zudrücken sollen. Das fängt auf die Dauer an, lästig zu werden.
    Aber Rother fühlte, wie sehr der Mensch ein Sklave der Gewohnheit wird, aus der man sich nur gewaltsam herausreißen kann. Auch behielt Mary in ihrer spanischen Mantille und ihrem Spitzenschleier für ihn etwas »Aristokratisches« und es besteht nun einmal ein lähmend Zwingendes in verliebter Herzenssympathie. Die Freundschaft mit einem Weibe wird für den Mann in den Widerwärtigkeiten des Lebens stets einen unerklärlichen Balsam besitzen, und wäre das Weib selbst eine Schenkmamsell. In dieser Beziehung zeigt sich die unverwischbare Allgewalt der Geschlechtssympathie. Mary hatte ihren Amant, wie das so üblich, ihrer Zimmer-Wirthin (»Comment-Mutter«) vorgestellt, welche ihr mütterliches Urtheil dahin abgab, daß der Herr mit dem hübschen Gesicht, so »blaue treue Augen« habe, also zu cultiviren sei.
    Marys Wünsche betreffs Einlösung ihrer versetzten Uhr, und dergleichen mehr, fielen bei Rother auf fruchtbaren Boden; ihre Droschken nach Hause bezahlte er ihr pflichtschuldigst, aber sie selbst besuchte er selten. Es schien mit der Zeit mehr ein gewisses Mitleid, was ihn an sie kettete, indem er ihre Neigung für eine wirklich tiefere hielt. Hierin irrte er auch nicht, wohl aber, wenn er ihrer Versicherung Glauben schenkte, sie habe sonst kein »ernsthaftes Verhältniß« nebenbei.
     
    Ja, war denn das wirklich er, Rother, der sich, wie ein Ladenschwengel oder ein halbwüchsiger Student mit seiner Kneipmamsell oder Confectioneuse, mit einem thörichten Bierbaß-Mädel umhertrieb, die zufällig in ihn verliebt war und ihren Mund unersättlich mit der Mahnung »Kuß« ihm entgegenspitzte? Und das Alles nur, um die nagende Sehnsucht und Erinnerung zu betäuben!
    War das denn nicht eine Profanation seiner wirklichen wahren Liebe für jene Andere, die er sich doch mit Leib und Seele als Braut erkoren? Und dabei liebelte er nebenbei noch mit der Dienstmagd der Wirthsleute, wo er wohnte! Kein Zweifel, sein ganzes Wesen war in kindsköpfische Sinnlichkeit aufgelöst, er schien von einem erotischen Teufel besessen. Diesen Teufel kann man nur austreiben durch Beelzebub, den obersten der Teufel. Und so keimte denn in Rother der künstlerische Größenwahn um so stärker hervor, jemehr seine Farben auf der Palette trockneten und der Pinsel nervös seiner Hand entglitt.
    Stundenlang auf einem Divan ausgestreckt, eine Virginia nach der andern schmauchend – manchmal aus Apathie nur an dem Strohhalm derselben kauend, ohne den »Rattenschwanz« anzuzünden –, fing er an, über seiner verkannten künstlerischen Bedeutung zu brüten.
    Aber statt diese mit dem Pinsel zu beweisen, griff er zur Feder. Wegen leidlichen Stils geschätzter Correspondent einer Kunstchronik, verriß er nunmehr rücksichtslos alle Lebenden. Adolf Menzel sei nur ein Vorläufer des Naturalismus. Da sehe man dagegen die Warzen der drei alten Weiber in der Kirche an, mit denen Meister Laibl uns beschenkte – dafür gebe er, Eduard Rother, den ganzen Rafael!
    Doch auch dies Gezanke um eine Kunst-Revolution vermochte seine innere Unrast nicht zu stillen.
    Wer irgend eine Handlung beging, die ihn schädigen oder lächerlich machen kann, wird ewig von den Dämonen einer ungewissen Furcht umhergesagt. Wie oft verwirklicht die Furcht sich nicht und wie oft tritt die gefürchtete Unannehmlichkeit grade an einer Stelle auf, wo man sie nicht erwartet! Wie oft räumt das Schicksal oder der Zufall eine Reihe von Gefahren, die uns drohten, aus dem Wege, und wie oft schafft er neue Hemmnisse, an die man nicht denken konnte!
    Wie sollte es denn Alles enden! Nachdem eine etwas kühlere Ueberlegung seine blinde Leidenschaft abgeschwächt, legte er

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