Größenwahn
Eingeweide drückte, runzelte Rothers besserer Theil leicht die Stirn. Es schien ihm widerlich, sich solche Dinge hier wieder vorzugaukeln, wo der schmutzig-fleischliche Theil der Liebe bei ihm gänzlich durch sentimentale Hingebung weggeschmolzen war.
Die Frau entwarf dann wieder ein rührendes Bild von ihren eigenthümlichen Verhältnissen. Sie mußte einen Mann ernähren, den sie nicht bei sich wohnen lassen konnte wegen seiner ewigen Betrunkenheit, und ihr Kind dazu; das Alles mit Nähen und Schneidern! Rother schaute in Abgründe des socialen Lebens hinein, von denen er in diesem Maße nie eine Ahnung gehabt. Das tüchtige brave Weib!
Ihn durchzuckte der Gedanke: Wäre es nicht das Beste, wenn ich hier zu dieser Frau zöge, mit Sack und Pack? Um sie zu unterstützen, weil sie sonst doch nichts annehmen würde in dem peinlichen Ueber-Stolz solcher verschämten Armen? – Andrerseits mußte er bitter lächeln, wenn er die Naivetät in den Fragen der Frau bedachte. Auf der einen Seite ahnte die Frau bei ihrem niedrigen socialen Bildungsgrad natürlich gar nicht die sonstige gesellschaftliche Stellung eines Mannes wie Rother; auf der andern Seite nahm sie offenbar an, daß Rothers pekuniäre Verhältnisse ihm gestattet hätten – – konnte er sie denn wirklich einfach unterhalten, ohne irgend welchen Entgelt, aus purem Edelmuth? Er hatte noch anderweitige Verpflichtungen, und ein Künstler –! Mein Gott, heut im Ueberfluß, morgen von der Hand in den Mund lebend! Für seine Gattin konnte er sich wohl opfern, für seine, Geliebte allenfalls auch – aber einfach aus purem Edelmuth, um betrogen zu werden – – wog denn er selbst, wog seine Kunst denn gar nichts, daß er Alles und Jedes hätte opfern müssen für dies eine Wesen, diese eine Leidenschaft?
»Sehen Sie, da lese ich eben die Geschichte von der schönen Näherin!« sagte Frau Lämmers beim Abschied, indem sie ein Heft in gelbem Umschlag, natürlich einen Colportageroman, hochhielt. »Dabei muß man immer an Kathi und Sie denken!«
Rother lächelte bitter. – –
Hat ein phantasiereicher und dabei bedeutender Mensch (und Bedeutendheit ist fast immer mit starker Einbildungskraft und großer nervöser Erregbarkeit verbunden) in irgend einer Beziehung »ein schlechtes Gewissen«, d.h. ist er sich einer Handlung bewußt, deren Bekanntwerden ihn lächerlich, verächtlich oder gar strafbar erscheinen ließe, – so ist er im Zustande besonderer nervöser Ueberreiztheit fähig, aus kleinsten unbedeutendsten Anlässen bestimmte Anspielungen und drohende Uebel herauszulesen. Völlige Niedergeschlagenheit und zitterige Befürchtung, indem die aus nichts Schreckgespenster bildende Phantasie ihm Gefahren vormalt, welche im allerschlimmsten Falle drohen könnten , macht aber dann, sobald er sich energisch zusammenrafft, einer ebenso siegessicheren Furchtlosigkeit Platz. Dem Schlimmsten stolz ins Auge sehend, schöpft er aus seinem inneren Machtbewußtsein die entschlossene Festigkeit, allem und jedem die Spitze zu bieten. Einem weinerlichen Schwanken in schwachen Stunden unterworfen, wie wenige, wird er nach Durchkämpfung solcher Schwäche, sofern sein Innerstes nur rein und markig blieb, stärker als zuvor. Das kostbare Gut der Ruhe wird nur so erworben. Die Wenigsten besitzen es und doch ist das Abwarten, an sich Herankommenlassen die größte aller Klugheiten; die höchste Weisheit aber, im Krieg wie im gewöhnlichen Leben, zu wissen, wann man angreifen und wann sich angreifen lassen, wann man schweigend dulden und wann man zurückschlagen soll.
Vielleicht wurde ein Skandal daraus! Was konnte es nicht für Scenen geben!
Er rannte umher wie ein Rasender. Der Gedanke an die Möglichkeit, daß seine Briefe in den Händen jenes Menschen gemißbraucht werden könnten, daß man hinter seinem Rücken, ohne daß er es ahnte, auf diese Weise gegen ihn vorgehen mochte, – peinigte ihn mit tausend Nadelstichen des Argwohns.
Wer weiß, ob nicht jede Waffe gegen ihn gewandt wurde, und der Bursche nun aus Rache kein Mittel scheute!
Warum hatte er nur die letzten Briefe geschrieben! Alles sprach gegen ihn – allerdings nur mit Umschreibungen und indirekt! Er konnte ja freilich sagen, er habe so geschrieben, weil er annahm, Kohlrausch werde die Briefe auffangen. Konnte er dies Letztere feststellen, so hatte er immer noch die Trumpf-Karte, jenen wegen Brieferbrechens schwer zu belangen.
Er schritt vor dem Spiegel auf und ab, und dachte des Augenblicks, wo er ihr
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