Größenwahn
Schlafe
Gar manche Ziege und Kuh.
Der Fuchs und der Wolf mit Trauern
Das Thier in der Wüste besahn.
Der – Löwe ist zu bedauern:
Er leidet an Größenwahn!«
Eine kurze Pause entstand. Auf diese schneidende Tiefquart wußte Annesley nur ein dummes »Hihi« zu kichern und wandte sich daher, um abzulenken, mit heuchlerischer Theilnahme an Rother: »Auch über Ihr neues Bild, lieber Freund, ist ein abscheuliches Epigramm veröffentlicht. Ich kann es auswendig. Auch die neulichen abscheulichen Bosheiten des
Dr.
Drechsler-Caballo im ›Stuß‹ gegen Sie habe ich verwahrt. Sie können diese wichtigen Dokumente bei mir nachlesen. Soll ich das Epigramm –«
»Nein, unterlassen Sie das!« unterbrach ihn Leonhart stirnrunzelnd. »Sie scheinen ja ein ordentliches Arsenal aller Injurien gegen Ihren Freund und Gönner anzulegen.«
Während Annesley wieder ein verlegenes »Hihi« herausquälte, belobigte Schmoller gnädig Leonharts Epigramm. »Sehr schneidig. Könnte nicht machen. Habe überhaupt noch nie einen Vers gemacht. Wenn ich ein Gedicht sehe, muß ich schon lachen.« – Ja, meine Herrn, er nahm einen behaglichen Schluck Kulmbacher, »hier sitzen die zwei bestgehaßten Leute in Berlin. Gefürchtet muß man sich machen; das ist die Hauptsache. – Dieser Veilchenthal! Dieser Me–nsch!«
»Na, der hat doch wenigstens ins Leben hineingespuckt,« insinuirte Rother lächelnd.
»Haha, sehr gut. Könnte sogar selbst als Spucknapf dienen. Ein Mensch mit einem solchen Flecken – Sie wissen doch!« Und er wärmte zum tausendsten Mal eine alte Weibs-Geschichte auf, wobei er einige verfängliche Situationen, die dabei mitgespielt haben sollten, recht drollig zum Besten gab.
»Ach was!« Leonhart schlug unmuthig mit der Faust auf den Tisch. »Laßt doch endlich die faule Sache ruhn. Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms.«
»Na, der mangelt doch nicht des Ruhms!« lachte Schmoller. »Freilich, was für ein Ruhm!«
Aber Rother, der aufmerksam zugehört hatte und sehr still geworden war, stimmte Leonhart eifrig bei. »Ist denn das ein solches Verbrechen, daß Einer aus Leidenschaft für ein Weib ...«
»Das will ich meinen!« rief Leonhart. »Seht Euch doch einen Kerl wie Napoleon an. War denn dem seine Josephine 'was Bessers? Da hab ich ein paar neue Bücher gelesen von einem gewissen Imbert de St. Amand über das Leben der ›Bürgerin Bonaparte‹. Du mein Gott! Um solch eine liebenswürdige Kokette, solch ein sinnliches Durchschnittsweib, hat das größte That-Genie aller Zeiten Blut geschwitzt! Der ganze berühmte Feldzug in Italien wird an der Hand unwiderleglicher Dokumente zu einem Delirium des erotischen Geschlechtsparoxismus. Bonaparte wollte berühmt werden und siegen, bloß damit ihn dies Weib liebe! Als er unter dem Triumphbogen Mailands einzog, war er der einzige Traurige in seinem siegreichen Heer. ›Meine Frau ist krank oder treulos,‹ sagte er todtenbleich zu Marmont. ›Ihr Medaillon ist auf meiner Brust zerbrochen.‹ Als er sie gewaltsam aus Paris schleppen ließ, wobei sie sich mit Händen und Füßen sträubte und weinte, als ging's zum Schafott, – gerieth er in eine erhabene Raserei, als die Oesterreicher ihn bei Befriedigung seines Liebestaumels störten. Und als seine Frau, die er den Gardasee entlang schickte, um sie aus dem Schlachtbereich zu schaffen, ihm Jammerbriefe schickte, ihre Eskorte würde von den Oesterreichern verfolgt und man habe auf sie geschossen, – schleuderte er in einem Anfall genialen Wahnsinns seine Blitze mit der unnatürlich verzehnfachten Kraft eines Irren umher, so daß er im ›Feldzug der Fünf Tage‹ die ganze österreichische Uebermacht Schlag auf Schlag auseinanderstäubte. Vor Arkole, als ihn ganz Europa für verloren hielt und die Armee ihn im Zelt verzweifelt über seiner Rettung brütend glaubte, saß er und schrieb verrückte Eifersuchtsbriefe an seine Frau: ›Fürchte den Dolch Othellos!‹ Briefe, welche die naive Kokette in ihrem Salon vorlas und dazu lachte: ›
Il est drôle, Bonaparte!‹
Grade in diesem erotischen Delirium kam das Genie über ihn wie ein Strahl und er beschloß den berühmten Uebergang aufs andre Ufer der Adige, wodurch seine ganze Lage eine andre Wendung bekam. – Später blieb's geradeso. In den Laufgräben von St. Jean d'Acre, gigantische Pläne nebenbei im Hirne wälzend, lamentirte er umher und belästigte seine Adjutanten mit Jeremiaden und Klatschereien über Josephinens Untreue, über die er sich lang
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