Größenwahn
Bühnenbeherrscher, dessen Muse immer bereit, dem Apell jeder Tagesfrage zu gehorchen und in weihevollen Hymnen jede beliebige Festlichkeit zu feiern – vom neunzigsten Geburtstag des Kaisers bis herunter zum Jubiläum irgend eines Geisteskoryphäen. Er führte soeben die festgeschlossene Cohorte seiner Getreuen in die zweite Aufführung seines neuen Dramas, welches von der Kritik schmählich mitgenommen war. Bei einer solennen Kneiperei in der alten Stammwiege des Alversschen Ruhmes, der italienischen Weinstube, hatte man heut Tod und Verderben allen Ungläubigen geschworen, welche gegen den nationalen Dramatiker aufmucken würden. Bei jedem Todten, der auf der Bühne als Leiche liegen blieb, sollte sich ein Begeisterungssturm von Gallerie und Parterre aus entfesseln. Nach dem dritten Akt aber wollte man, laut Verabredung, ein furchtbares Bardengebrüll »Alvers, Alvers! Alvers 'raus!« stiften, das sich fortissimo bis zum Füßescharren und Stampfen steigern sollte. Ehe die Schauspieler für den »leider nicht im Hause anwesenden Dichter« danken könnten, würde sich dann der Hohe selbst in seiner Loge erheben und gnädig dem verehrlichen Publiko seine Kneifer-Verbeugung zuschlenkern. So dachte man der bösen Kritik schon noch beizukommen!
Wenigstens stellten dies Alles die drolligen Dichterdioskuren so dar, welche von Jedermann irgendwelche Mordsgeschichte zu erzählen wußten. Im Vorübergehen hörte man, während die Verschwörer im Sturmmarsch an ihnen vorbeidefilirten, den großen Dichter selbst die bedeutenden Worte äußern: » ... Das ist es, meine Herren, was ich in Ihnen begrüße: die Wiedergeburt des germanischen Geistes durch begeisterte Jugend. Sie, die Blüthe der Nation, Sie nur verstehen mich zu würdigen. Ja, was sind sie, all die Andern! Nur das nationale germanische Drama ...« Der rauhe Wind verschlang unbarmherzig den Rest. Die vier Flaneure sahen sich an.
» Größenwahn !« flüsterte Rother.
»Dieser Mensch!« schrie Schmoller, indem er sich mit theatralischer Geste an die Stirne fuhr. »Was versteht denn Der! Alberner Bumbum! Dem muß die Muse stramm stehn, wie ein Rekrut!« Leonhart schwieg. Rother knüpfte noch die Bemerkung daran, daß in der Malerei Adolf von Werther diesem königlich preußischen Strebertypus als Pendant entspreche. »Ja, ›von‹! Da liegt's!« Schmoller fuchtelte wüthend mit beiden Händen umher. »Das ›von‹ macht diese Kerle berühmt. Hehe, neunundneunzig Karossen halten soeben vorm Hofschauspielhaus, wie ich höre. Das ganze Geheimrathsviertel und die ganze Garde sind angetreten, um einen Dichter ›von und zu‹, einen von ihre Leut', zu bespeicheln. Pfui Deibel! Was, wie, Leonhart, zwei Kerle wie wir, die hunderttausendmal mehr werth sind, als die ganze Bande zusammen ...« Leonhart schwieg.
Rother stieß Annesley mit dem Ellbogen an. » Größenwahn !« murmelte dieser, halb träumerisch.
»Wo speisen wir, meine Herren?« fragte Leonhart.
»Welche Frage! Siehe Annonce-Spalten der ›Berliner Tagesstimme‹! ›Wo speisen Sie? Bei Schwanzer.‹ Hier wären wir ja. Steigen wir man immer runter, Herrschaften!« docirte der gewiegte Lokalspezialist Berlins als Autorität mit Selbst-Patent.
Man stieg also in den geräumigen Keller hinab und nahm Platz. »Kellnehr! Eine Portion Erbsensuppe mit Schweinsohren, aber hübsch zerkaut! Ne, nicht doch, ich versprach mich man nur. Kellnehr! Ein Eisbein mit Sauerkohl! Ganz frisch, sagen Sie? Na selbstredend, kennen wir, oller Pappenheimer.«
Leonhart vermochte nicht, sich diesem culinarischen Realismus anzuschließen, und begnügte sich mit einer Portion Seemuscheln: das Pikante zog ihn immer an. Nachdem Annesley die ganze Speisekarte durchstudirt, verkündete er plötzlich großartig sein dringendes Bedürfniß nach einem Dutzend Austern nebst Champagner. Obschon Rother keineswegs so cavaliermäßig fühlte, wie sein liebes Zukunftsgenie in
spe,
so mußte, er doch wohl oder übel in seiner gewöhnlichen schwächlichen Weichherzigkeit nachgeben und mithalten.
Schmoller gerieth sofort über den Sekt und die Austern, auf welche er geile Blicke warf, in die tiefste sittliche Entrüstung. »Dieser Mensch!« raunte er seinem Genossen ins Ohr. »Scheint ein verzogenes Muttersöhnchen, das noch nicht ins Leben hineingespuckt hat. Wollen ihn mal schrauben. – Sie, junger Herr,« hob er plötzlich an, »warum heißen Sie eigentlich Francis Henry Annesley? Sie sprechen doch ganz dialektfrei. Sind Sie
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