Größenwahn
Engländer?«
»Mein Urgroßvater war ein Amerikaner,« klärte ihn der Angeredete feierlich auf, als belehre er über eine wichtige historische Thatsache.
»Und seither ist Ihre Familie nach Deutschland verzogen? Ihre Frau Mutter war wohl auch eine Deutsche? Ja? Na, dann frage ich man bloß, warum Sie sich ›Henry Francis‹ taufen ließen, statt ganz gemüthlich ›Heinrich Franz‹. Jaja, versteh schon. Waren vorsichtig in der Wahl Ihrer Namen, wie Ihrer Eltern. So'n bischen Englisch klingt doch gar zu schön. Hat so'n vornehmes Lüster, hehe. Nichts für ungut. – Also Sie sind Lieder-Componiste? Oalle Achtung.«
»Ein sehr begabter ,« ermahnte Rother mit leisem Vorwurf. Er fühlte sich beleidigt, daß man seinen Schützling an-ulkte.
»Mindestens. Ein verrücktes Sumpfhuhn sind Sie doch, lieber Herr Rother! Das heißt, pardon, Sie verstehen, ich bin eine ehrliche Haut, die jedem die Wahrheit sagt. Fragen Sie meinen Freund Leonhart!« Dieser brummte über seinen Seemuscheln etwas Unverständliches.
»Nein, wie Sie doch immer für Andre ins Zeug gehn! Ordentlich rührend. – Ja, Herr Annesley, er hat uns schon viel die Ohren vollgeschwärmt – in Ihnen soll ja riesig viel Musike thronen. Schöner Kerl, der Francis Henry, interessantes Aeußere – was, Leonhart?« Dieser grunzte, wieder etwas Unverständliches; der ehrliche Biedermann aber hatte mit dieser biedern Aeußerung das Herz des Wunderknaben für immer gewonnen. »Werden, wie ich höre, eine Prachtausgabe Ihrer Compositionen ›Lieder unglücklicher Liebe‹ veranstalten – mit Illustrationen von Paul Thumann, nicht?«
(»Schlagsahne!« Rother schüttelte bei dem Namen des eleganten Damenzeichners unwillig den Kopf.)
Ohne den Spott Schmollers zu merken, folgte Henry Francis Annesley eifrig der Lockpfeife: »Allerdings, Herr Schmoller. Ich plane auch eine Prachtausgabe meiner Symphonie ›Kinder des Leids‹, Opus 21.«
»Muß Ihnen aber ein schweres Geld kosten,« meinte Schmoller theilnehmend, der rasch berechnete, daß man sich einen so vermögenden Jüngling warmhalten müsse.
»Ach ja!« rief der Beklagenswerthe. »Ich war stets ein Opfer meines idealen Strebens. Wer die ganze, hohle jämmerliche Erbärmlichkeit der aus Perfidie, hirnverbranntem Neid, tollem Größenwahn, gemeinster Klatschsucht, polizeiwidriger Cliquenheulmeierei zusammengesetzten Weltverhältnisse kennen gelernt hat – puh!«
»Sehr richtig!« sagte Schmoller und machte ein ernsthaftes Gesicht.
»Wo ist neidlose Anerkennung wahren Verdienstes,« der Wunderknabe warf das Adonishaupt in den Nacken, »wo Ehrfurcht vor allem Großen, Heiligen und Schönen, wo Charakter, Manneswürde!«
»Sehr richtig!«
Jener aber übte sich rüstig fort in deklamatorischer Rhetorik:
»Wer vermag in diesem bodenlosen Sumpf des Egoismus festen Fuß zu fassen! Wer noch einen Funken Moral und Ehre im Leibe hat, wendet entrüstet sich ab von diesem Bilde schamloser Herzens- und Gemüthsverrohung, verzweifelnd an allen idealen Instinkten. Ja, man müßte die Leier des Gesanges zu allen Teufeln werfen –«
» Warum thun Sie es denn nicht ?« unterbrach ihn plötzlich im betäubendsten Wortschwall die boshafte Zwischenfrage. Sie kam aus dem Munde Leonharts, der ihn seit geraumer Zeit mit festen Blicken maß, als ob er an ihm etwas studiren wolle. Annesley verstummte und biß sich auf die Lippe, während ein tückisches Blinzeln in seinem Auge verrieth, daß er Leonharts Meinung sehr wohl verstanden habe.
»Meine Lieder,« hob er wieder an, »sind sturmbewegte Trauerflöre, tiefste Herzensseufzer. Durch die Berührung mit der All Natur entsteht jenes Stimmungs Fluidum, welches der brünstigen Sehnsucht nach dem Ur Schooß entspringt. Ja, meine Herren, die Musik – sie ist die höchste der Künste, vergeistigte Materie, die vom Rohstofflichen bis auf den kleinstmöglichsten Erdenrest sich losgelöst. Die in der Stunde der Gnade empfangene Melodie der Seele, der individuelle Stimmungsduft der Empfängniß, die krystallklare Spiegelung der dämonischen Regungen der Seelenorgane in der ganzen Skala der Affekte vom höchsten Jubel bis zum tiefsten Leid ...« er wollte noch einige Phrasen hinzufügen, verhaspelte sich jedoch und verschlang rasch eine Auster.
»Kannst Du Dir den Bauch halten vor Lachen? Ich platze!« raunte Schmoller wieder seinem Freunde zu, der mürrisch vor sich hinstarrte. »Sehr, sehr schön gesagt, mein lieber Herr Francis Henry Annesley,« sagte er laut mit tiefem
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