Größenwahn
Brustton der Ueberzeugung. »Grade auf Ihre Prachtausgabe bin ich ungemein gespannt. Haben Sie schon einen Verleger ?!«
Diese ominöse Frage schien bei dem neuen Mozart eine mißtönende Seite zu berühren. Denn er runzelte die Stirn und zog dann aus seiner Brusttasche einen gedruckten Prospekt, welchen er der andächtig lauschenden Gemeinde mit hochtrabend näselndem Tone verlas. In demselben wurde versichert: Ralf der Schöne (in Klammer: Pseudonym für Henry Francis Annesley) sei nach dem Urtheil aller Autoritäten »absolut genial« zu nennen. Beigefügt waren einige Recensionen des »berühmten Musikreferenten Eugen Düstergang« und des »bekannten Kunstkenners Harald Theopol Mokamaute «, wonach die »Pantheistischen Lieder unseres Henry Francis Annesley zweifellos vom Hauch der Unsterblichkeit umweht« seien. Diese Musik schwebe gleichsam in der mondblauen Luft zu märchenblasser Sternenpracht empor.
»Ikarus, Ikarus, Jammer genug!« warnte Leonhart halblaut.
»Sagen Sie – Mokamaute ?« forschte Schmoller mit unnatürlichem Ernst. »Würde Mokka-Schaute nicht besser klingen? Wer ist eigentlich dieser Herr? Habe noch nie davon gehört.«
»Ich wohl – nämlich von Ihren zwanzig Pseudonymen, Herr Annesley.« Leonhart stieß ein kurzes hartes Gelächter aus. »Ach, so lassen wir doch den Quatsch!« Der Wunderknabe schoß aus ihn einen wüthenden Blick, in dem eine unheimliche Tücke schillerte. »Sprechen wir endlich von interessanten Dingen. Wie denken Sie über Rußland? Ich meine, die neuen Attentatversuche der Nihilisten, meine Herren.« Aber Schmoller hielt ihm mit komischen Schrecken den Mund zu:
»Raus! Will der Spitzbube hier gelehrte Gespräche mimen. – Ne, schwatzen wir man ganz gemüthlich weiter!«
(»Klatschen und schimpfen!« dachte Rother.)
»Ja, mein lieber Mister Annesley, ich freue mich lebhaft, in Ihnen einen Nachfolger der Schumann und Schubert, sozusagen den Letzten Lyriker, kennen zu lernen. Fahren Sie auf diesem löblichen Wege nur so fort, dann wird Ihnen der Lorbeer (halblaut zu Leonhart: ›und Zelle Nr. 1 in Dalldorf‹) nicht entgehen.« Und erschüttelte meuchlings dem Letzten Lyriker die schmächtige Hand mit seiner Bärentatze. »Wie Rother erzählt, verfügen Sie ja auch noch über eine schöne Gottesgabe die des Menschen Herz erfreut: einen sanften lieblichen Tenor.«
»Wollen Sie mich mal hören?« Der Wunderknabe ließ sich das nicht zweimal sagen. Zum Entsetzen seines Freundes Rother und sämmtlicher Gäste erhob er plötzlich seine Stimme und sang »So – la – mi – fa« mit fabelhafter Bravour herunter.
»Aber nein, das geht nicht, meine Herrn!« betheuerte der Wirth, der von seiner üblichen Skat-Parthie in der Ecke aufsprang und herbeieilte. »Sie graulen mir ja alle Gäste fort.«
Annesley setzte sich, unmuthig seine Mähne schüttelnd. »Lächerlich! So geht's immer. Nirgends ist Raum für das Ideale.«
»Und die Eitelkeit,« ergänzte Leonhart.
Schmoller wand sich in inneren Krämpfen. »Sehr, sehr brav. Ich ehre in Ihnen den neuen Amphion,« rief er, Lachthränen in der tremulirenden Stimme. »Sie könnten Steine erweichen. – Dieser Me–nsch!« flüsterte er zu Leonhart hinüber. »Den bring' ich in meinen neuen Roman. Der Wein-Reisende in Musike! Das ist ja das reine Pendant zu den Literatur-Studenten der Jüngsten Deutschland.«
Als ob er auf sein Stichwort gelauert hätte, wandte sich hier der Wunderknabe, der nach Leonharts boshafte Ergänzung über irgend etwas zu sinnen schien, an diesen mit der erfreulichen Frage:
»Haben Sie schon Veilchenthals Epigramm auf Sie gelesen in der neuesten Nummer des ›Zeitgeist‹?«
»Ach Gott!« lächelte dieser. »Was geht es den Mond an, ob ein Köter ihn anbellt! Der selige Lasalle sagte so richtig in seiner Broschüre gegen Julian Schmidt: ›Die kleinsten Köter pflegen mit Vorliebe an Monumenten ihr Wasser abzuschlagen.‹«
»Hihi!« Der Wunderknabe grinste dämonisch. »›Mond‹ und ›Monument‹ ist gut. Hihi, er redet ja eben darin von Ihrem, widrigen Selbstlob' – hihi, er nennt Sie den Gernegroß, dem Dunst und Dünkel das Hirn verdrehte und der seine Kindertrompete – hihi – hält für die Posaune des Weltgerichts.«
»Ach, Sie sind zu freundlich. Ich staune über Ihr Gedächtniß,« parirte der Dichter kalt. »Vielleicht lernen Sie auch mein neuestes Epigramm auswendig:
Größenwahn.
Der Esel vertraut es dem Schafe,
Das blökte fromm Mumuh.
Sie schrieen sogar aus dem
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