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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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und breit mit seinem eigenen Stiefsohn Eugen unterhielt. – Kurz, meine Herrn, ungewöhnliche Menschen sind in dieser Beziehung immer verrückt und die erotische Leidenschaft ist der beste Stachel der Genialität.« Er hätte noch so fortdocirt und besonders die Episode mit der polnischen Gräfin zum Besten gegeben, wegen deren die Schlacht von Eylau verloren ging – aber Schmoller gähnte laut. So zog er es denn vor, um sich einen anständigen Rückzug zu sichern, zur Retirade zu eilen. Während er diesem natürlichen Bedürfniß fröhnte urtheilte sein Waffengenosse, Kamerad Schmoller, wohlwollend:
    »Hat etwas gelernt, dieser Leonhart. Aber mit seinem Napoleonschwindel muß er mir vom Leibe bleiben. Das ist auch bei ihm so ein Stück Größenwahn. Wissen Sie nicht, er hält sich selbst so für eine Art kleinen Napoleon, haha! Spricht
pro domo.
– Ja, ich sagte eben,« brach er ab, als Leonhart wieder erschien, »Du bewunderst Deinen Kleinen Korporal zu viel. Was der gethan hat, kannst Du auch – wenn Du so viel Glück hast wie er. Prost!« Dabei zwinkerte er mit einem Auge die Andern an, als wolle er ihnen seine tiefe Ironie andeuten. Gleichwohl klangen seine Worte ganz sauertöpfisch-bieder.
    »Napoleon war doch ein dämonisches altes Haus!« machte der Wunderknabe seiner unklaren Gedankengährung Luft.
    »Sehr richtig, lieber Herr von und zu Annesley,« munterte ihn Schmoller mit süßlichem Lächeln auf. »Sie sind ja auch eine dämonische Natur.«
    »Ich? Hihi. Glaub's auch. Sehn Sie, darum häng' ich auch jetzt die ganze Componirerei an den Nagel. Ich entsage für alle Zeiten der schöpferischen Production. In wilden Rhythmen, fessellos und frei, hat mein Herz gefiebert. Doch nun fiebert mein Dämon der Bühne zu. Nicht eher finde ich Ruhe, bis das Parkett des königlichen Opernhauses mir athemlos lauscht. Die ganze Producirerei, meine Herrn, ist heut nichts. Damit wird weder Ruhm noch Geld verdient. Die Epoche der Schöpferkraft ist dahin. Heute findet nur der reproducirende Künstler seinen goldnen Boden. Und ich, meine Herrn, brauche das. Ich gestehe es offen: Ich brauche Ruhm und Genuß. Sie sehen mich, ich bringe alle äußeren Mittel mit!« Schmoller trat Leonhart auf den Fuß. »Die Weiber müssen zu meinen Füßen schmachten, daß ich gleichsam in Makartscher Fülle schwelgen kann.« Dabei grinste sein Gesicht ordentlich von verzehrender Wollustgier. »Ich bin eben eine dämonische Natur!«
    »Eine neronische, meinen Sie wohl?« ergänzte Leonhart ruhig. »Ich will Ihnen auf den Kopf sagen, was Sie sind: Ein Dilettanten-Wütherich. ›O welch ein Schauspieler stirbt in mir!‹ mögen Sie auf Ihren Grabstein setzen. Wären Sie auf dem Thron geboren, so würden Sie der Zwillings-Bruder eines Ludwig II. sein. Mit verzückter Thränenseligkeit und Schmerzenswollust Rom in Brand stecken, und dazu freie Rhythmen drechseln – oder die Cirkus-Gladiatoren und Bestien sich das Fell von den Knochen reißen lassen, um in tragische Kothurnstimmung zu gerathen – das wäre so Ihr Gusto!« ... Der unheimliche Jüngling lehnte sich mit affektirtem Staunen zurück und sah ihn erstaunt an: »Nein, sind Sie aber ein Menschenkenner! Zweifellos leide ich an erblicher Paranoia und nervöser Psychose.« Er theilte dies mit so sinniger Beschaulichkeit mit, als spreche er von einem Schnupfen. »Doch freilich, eine so complicirte Natur wie mich vermögen Sie doch wohl noch nicht voll zu begreifen. Wenn Sie mich näher studirten ...«
    »Dazu sind Sie mir zu unbedeutend, fürchten Sie nichts,« beruhigte ihn Jener trocken. »Glauben Sie übrigens, das sogenante Dämonische wär' was Besonderes? Alle Uebergangsepochen sind davon durchseucht. Immer dieselben Symptome herostatischen Größenwahns. Die Anarchisten, die Attentäter, die angeblich ihren ›inneren Stimmen‹ gehorchen, sind heut bloß die Nachfolger ähnlicher Schwachmatikusse in der Renaissance, wo man, wenn nicht Cäsar, durchaus Tyrannenmörder Brutus oder Anarchist Catilina werden wollte. Gegen solche dämonischen Instinkte ist freilich schwer anzukämpfen.
    Die hundert Spanier in der Riesenstadt Mexiko, welche Kortez zurückließ, stürzten beim Neumond-Fest auf den Goldschmuck der Mexicaner los, blind für alles Andere, toll von Gier, und richteten ein Blutbad an. Sie mußten wissen, ja sie wußten es beim Thuen selbst, daß sie schwer dafür zu büßen hatten. Aber sie konnten nicht anders: Gold- und Blutgier rissen sie fort. Der Tiger weiß auch recht

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